Der vor einiger Zeit heiß diskutierte Cum-Ex-Skandal ist ein schillerndes Beispiel für große Missstände. Aber er ist nur ein Symptom eines generellen Problems: dem höchst komplexen deutschen Steuersystem.
Als die Cum-Cum- und Cum-Ex-Skandale an die Öffentlichkeit drangen, gab es eine große Welle der Empörung und Entrüstung. Dies zurecht. Auf Kosten der Mitbürger – den Steuerzahlern – haben sich einige Wenige gütlich getan. Mit etwas Abstand sollte der Blick jedoch von den Betrügern hinwandern zu denen, die sich haben betrügen lassen.
Denn es handelte sich hierbei um ein Versagen des Staates. Er war es, der den Profiteuren Steuergeld überwies, das ihnen nicht zustand – zum Beispiel, weil er irrtümlicherweise zwei Aktionärinnen eine Steuergutschrift gab, obwohl nur eine diese hätte erhalten dürfen. Was die Betrüger dabei ausnutzten war die Komplexität eines Systems, das sie besser verstanden als die Minister und Mitarbeiter auf Seiten des Fiskus. Das soll nicht die kriminelle Energie kleinreden, die auf Seiten der Profiteure im Spiel war. Es soll aber deutlich machen, dass der Staat hier versagt hat, und dass die Empörung sich mindestens im gleichen Maße an jene richten sollte, die hierfür verantwortlich zeichnen.
Der Haken bei der ganzen Geschichte ist aber, dass die Komplexität des Steuersystems nicht notwendig ist. Sie ergibt sich aus seiner konkreten Gestaltung, die veränderbar ist. Wäre das Steuersystem deutlich einfacher, dann würde es nicht so schwerfallen, einen guten Überblick zu bewahren und Doppelzahlungen oder ähnliches zu vermeiden. Und genauso könnten große Firmen und Einzelpersonen keine Schlupflöcher ausnutzen, um sich zu bereichern und vor unliebsamen Konkurrenten zu schützen.
Das bringt uns zum nächsten Problem: Viele große Unternehmen, deutsche und ausländische, zahlen kaum Steuern in Deutschland. Genauso verhält es sich mit sehr wohlhabenden Personen. Auf der einen Seite ist das vielleicht sogar gut – das Kapital würde vom Staat tendenziell verschwendet oder zumindest deutlich schlechter verwendet werden. Auf der anderen Seite aber trägt das deutsche Steuersystem stark zum Schutz etablierter, großer Unternehmen und auch zur Monopolbildung bei – es hebelt den Wettbewerb aus. Und das ist nicht gut. Denn jedes Unternehmen sollte sich jeden Tag in einem fairen Wettstreit aufs Neue beweisen müssen – nur auf diese Art und Weise werden die effizienten Unternehmen, jene also, die das herstellen, was die Konsumenten wollen, sich durchsetzen. Nur so funktionieren Marktwirtschaft und Wettbewerb im Sinne der Konsumenten, nicht im Sinne der Produzenten.
Zwei Faktoren spielen eine große Rolle in der Begünstigung großer, etablierter Unternehmen. Erstens können nur große Unternehmen erfolgreich Steuervermeidung betreiben. Denn nur sie können sich teure Steuerberater und komplexe Konstrukte leisten, die die Komplexität des Steuersystems ausnutzen, welche unweigerlich zu Schlupflöchern führt. Und gerade dies schützt wiederum die Etablierten und Großen. Der Wettbewerb wird dadurch eingeschränkt – natürlich zu Ungunsten der Verbraucher, zu Gunsten einer kleinen Gruppe von Produzenten.
Zweitens sind einzig und allein große, etablierte Unternehmen in der Lage, eben jenes komplexe Steuersystem in seiner Gestaltung zu beeinflussen – es muss ja ständig neu angepasst und verbessert werden. Gerade dies können sie wiederum nutzen, um weitere Vorteile für sich herauszuholen. Es ist schlicht und ergreifend kurios, dass die EU die ‚Big Four‘ konsultiert, wenn es um die Gestaltung des Steuersystems geht. Genau jene also, die von Steuervermeidung profitieren.
Ein einfaches Steuersystem – der sagenumwobene Bierdeckel, auf dem die Steuererklärung gemacht wird – hilft, Ungerechtigkeiten wie Geschenke für Einzelne bezahlt vom Steuerzahler zu verhindern sowie den Wettbewerb zu stärken. Denn keiner kann dann die Gestaltung des Steuersystems zu seinen Gunsten beeinflussen sowie Vorteile vor Wettbewerbern erlangen durch bessere Fähigkeiten im Ausnützen von Schlupflöchern. Aber damit dies erfolgreich ist benötigt es wohl auch die klare Abkehr vom Streben nach Einzelfallgerechtigkeit. Genau diese wünschen sich jedoch viele. In diesem Sinne muss jeder Einzelne sich hinterfragen, ob er ein System möchte, welches das Ideal der Einzelfallgerechtigkeit verfolgt, aber dafür auch große Probleme aufweist, die sich aus seiner Komplexität speisen. – Oder aber ob er lieber ein einfaches, effizientes, aber eben nicht auf jeden einzelnen Gesichtspunkt eingehendes Steuersystem wünscht. Das eine gibt es nicht ohne das andere.