Verschwörungstheorien werden zunehmend populärer. Mehr und mehr Menschen sind überzeugt von QAnon und Co. Sie glauben nicht mehr an die ‚gängige‘ Version der Wirklichkeit. Die Welt wird in Wahrheit bestimmt von finsteren Mächten, die Macht und Wissen haben, ihre sinistren Vorstellungen Wirklichkeit werden zu lassen. Als Antwort auf derartige Behauptungen wird meist auf ‚die Fakten‘ verwiesen, die, so heißt es, eine klare Sprache sprechen. Aber genau das verkennt das Wesen von Verschwörungstheorien. Sie stehen in enger Verbindung mit ganz eigenen Frameworks (oder Paradigmen), mit denen Menschen die Welt verstehen. (Vielleicht bilden sie gar eigene Frameworks.)
Viele Streitgespräche über Verschwörungstheorien münden in Aussagen wie „Verschwörungstheoretiker ignorieren Fakten“, „die Lage ist klar“, „die Wissenschaft zeigt eindeutig“, „es ist klar belegt, dass…“. Diese oft leidenschaftlich vorgetragenen Beschwerden und Argumentationen sind zwecklos: Der Verschwörungstheoretiker wird hierdurch nicht von dem Gesagten überzeugt. Aus der eigenen Perspektive ist das unverständlich, denn für einen selbst ist die Lage klar, die Zahlen erdrückend, die Argumente zwingend. Aber Verschwörungstheoretiker sind ‚faktenresistent‘.
Dies ist zuerst einmal kurios. Wie lässt es sich erklären, dass manche die für andere eindeutigsten und klarsten Beweise, Fakten und Argumente ignorieren? Zuerst einmal müssen wir feststellen, dass es kein (oder zumindest kaum) objektives Wissen oder objektive Theorien gibt. Der letztgültige Beweis, dass eine These oder gar ein ganzes Framework stimmt, kann nicht erbracht werden. Und in unserer hochkomplexen Gesellschaft (Stichwort Arbeits- und Wissensteilung) müssen wir beim größten Teil unseres Wissens auf die Integrität unserer Mitmenschen vertrauen und ihnen Glauben schenken – seien es Wissenschaftlerinnen, Journalisten oder Politikerinnen. Eine direkte Verifizierung des Wissens oder der Informationen ist (nahezu immer) unmöglich. Das gilt übrigens auch für Wissenschaftlerinnen selbst, die auf ihren Assistenten vertrauen müssen, der Messungen vornimmt oder Daten nutzen müssen, die womöglich eine Person gesammelt hat, die sie gar nicht kennen.
Wenn wir unser Wissen (und Frameworks) aber nicht letztgültig beweisen können, dann ist es möglich, dass sich verschiedene Menschen auf eigene (subjektive) Frameworks berufen, mit denen sie die Welt zu verstehen versuchen. Diese Frameworks strukturieren was der Mensch grundsätzlich glaubt und welche Erfahrungen er macht. Das heißt, sie bestimmen was für ihn Fakt ist und was nicht; was eine legitime Argumentation ist und was nicht; welchen Experten getraut wird und welchen nicht; was als Beweis gilt und was nicht. Das eigene Framework bestimmt also, ob man das glaubt, was in der FAZ steht oder jenes, was Breitbart schreibt. Es bestimmt, ob man den Aussagen eines Akteurs Glauben schenkt oder diese als Fake News beurteilt. Ob man dem RKI Vertrauen schenkt oder KenFM. (Denn das Glauben und somit das Subjektive spielt alleine deshalb schon eine Rolle, da man ja nicht, beispielsweise, selber nachprüfen kann, wie viele Corona-Infizierte es nun gerade gibt. Genauso wenig kann das RKI selber dies nachprüfen, sondern muss den Gesundheitsämtern vertrauen, welche wiederum den Krankenhäusern vertrauen müssen.)
Es gibt also mehrere, unterschiedliche Frameworks, mit denen Menschen die Welt verstehen und die daher ganz verschiedene, grundsätzliche Überzeugungen aufweisen. Diese Überzeugungen prägen unser Bild von den Dingen – sie bestimmen, was als Fakt erachtet wird und was nicht. Genau deswegen sind diese Frameworks unvergleichbar. Die Erfahrungen, die in einem Framework gemacht werden, setzen die dem Framework entsprechenden Überzeugungen bereits voraus. Sie können daher jemanden, der andere Überzeugungen hält, nicht zum eigenen Framework konvertieren. Die Frameworks trennt, um einen Begriff von Michael Polanyi zu verwenden, ein ‚logical gap‘. Was für den einen ein Fakt und ein Beweis ist, zählt für die andere gar nicht. Denn beide betrachten die Welt mit ganz verschiedenen Augen. Sie leben in einer Welt, von der sie aber zwei unterschiedliche Bilder wahrnehmen. Und ganz grundsätzlich gilt, dass grundlegende Überzeugungen nicht aus Erfahrung gewonnen werden können, da diese nie rein oder neutral ist. Die Konversion zwischen zwei Frameworks ist somit nicht rational.
Genau dies erklärt nun aber, warum sogenannte Fakten, Zahlen, Argumentationen und Beweise einen Verschwörungstheoretiker nicht überzeugen können. Der Wissenschaftler gilt in einem Framework als Autorität, im anderen aber nicht. Für den Verschwörungstheoretiker sind Zahlen und Argumente des RKI ohne Bedeutung, weil sie in seinem Framework eben nicht als authentisch und wahr eingestuft werden. Was das RKI veröffentlicht ist irrelevant für ihn (oder wird vielleicht als Teil einer größeren Desinformationsstrategie eingeschätzt). Wegen des ‚logical gaps‘, das verschiedene Frameworks voneinander trennt, ist es dann unmöglich, andere von dem eigenen Framework zu überzeugen, wenn man Argumente, Fakten und Beweise des eigenen Frameworks bemüht. Denn diese sind nicht relevant für jemanden, der Anhänger eines anderen Frameworks ist. Sie sind für ihn keine Argumente, Fakten und Beweise. Daher interessieren den Verschwörungstheoretiker Verlautbarungen der Regierungen und der (für ihn un-)seriösen Wissenschaft nicht.
Verschwörungstheoretiker wird man folglich nur schwerlich überzeugen können mit dem passionierten Verweis auf Fakten, Beweise und Argumente, die dem eigenen Framework entspringen. Des einen ‚Fakten‘ sind des anderen ‚Fake News‘. Das sollte man nicht vergessen, wenn überlegt wird, wie man mit einer stetigen Zunahme von Verschwörungstheoretikern umgehen kann.
Der Autor bedankt sich bei Stefan Kosak für zahlreiche hilfreiche Kommentare.
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