Im April 2020 erblickte die Marktradikal-Libertären Partei Deutschlands (kurz: MLPD) das Licht der Welt. Zeit einmal abzutauchen – in einen eigentümlich befriedigenden Mikrokosmos zwischen spontaner Ordnung und echtem Chaos.
Es geht heiß her auf dem Voicechannel #Marktplatz. Ein gutes dutzend Leute redet erregt durcheinander: „Das ist nicht frei.“ „Soll doch jeder selber…“, „Sozi!“. Dazwischen knacken die Mikrophone. Im Hintergrund hämmert irgendwer so laut auf seine Tastatur ein, als wollte er nur damit die leiseren Redner zum Schweigen bringen. Libertarismus und Inzest ist das hitzige Thema der Runde. Unterdessen wird im zweiten Voicechannel gerade die Lage auf dem Mietmarkt erörtert. Hier klingt es eher nach gesetzter Podiumsdiskussion: „Das Modell Wohneigentum an Staatsbürgerschaft zu koppeln, wird ja auch in Thailand systematisch durch Mittelsmänner umgangen.“, referiert gerade jemand und erntet zustimmendes Murmeln.
Im Inneren hat die Marktradikale-Libertäre Partei Deutschlands (kurz: MLPD) viele Gesichter. Nach außen ist das Satireprojekt auf die maoistische Kleinpartei MLPD hingegen konsequent auf Angriff gebügelt. Ihre Spezialität: Alte Wahl- und Propagandaplakate, nun mit libertären Slogans versehen: „Brutto = Netto – Sozialismus ist Sklaverei“ prangt unter dem sozialistischen Arbeiter, jetzt in Gelb-Schwarz getaucht. Die Farben des Anarchokapitalismus. Direkt daneben, Greta Thunberg wie sie ein „MLPD – Steuern sind Raub“ Schild hochhält. Dazu klassisch liberale Zitate, Veranstaltungshinweise, Podcasts.
„Eigentlich war das ganze mehr eine spontane Satireidee“ erklärt der libertäre Aktivist, der sich auf Discord Unbasiert nennt, und streicht sich durch den schwarzen Bart: „Wir waren selber etwas überrascht, wie viel Fahrt das aufgenommen hat.“ Über 500 Leute bevölkern inzwischen den Discord-Channel der MLPD. „Habt ihr schon gesehen? Selbst die echte MLPD hat uns inzwischen bemerkt.“ Er kann sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Und tatsächlich doziert die marxistische MLPD inzwischen etwas hilflos in ihrem Parteiblättchen Rote Fahne: „Neue pseudosatirische Seiten […] verdeutlichen die ideologische Hilflosigkeit der heutigen Antikommunisten.“ – während sie zeitgleich auf Twitter fast völlig im endlosen Feed der marktradikalen Memes untergeht.
Im 68er-Slang würde man wohl von Spontis sprechen, nur um irgendein adäquates Wort für diese wilde aber hochmotivierte Internetgruppe zu finden. „Wir haben keine feste Führung. Das ist spontane Selbstorganisation“ erklärt Mr. Hankypants, der als Unternehmer lieber anonym bleiben will. Zu viele schlechte Erfahrungen mit Cancel Culture. „Wer Bock hat, macht einfach etwas.“ Und viele Leute scheinen Bock zu haben und füllen die internen Channel #memes-mlpd und #memes-libertarismus jeden Tag aufs Neue. Freie Privatstädte, Corona-Protest, Staatskritik, Waffenrechte, Drogenlegalisierung, von „Hoppe statt Höcke“, bis „Hayek Akbar“; die MLPD ist auch thematisch breit aufgestellt.
Diese Offenheit hat natürlich auch ihre Kehrseite: „Rechte Trolle, Linke Trolle, da haben wir schon ein Auge drauf.“ erklärt mein Gesprächspartner, „Einmal hat jemand sogar einen unserer Accounts in die Hände gekriegt, da mussten wir dann mit allen anderen Accounts dagegen halten – bis er es aufgegeben hat.“ Mr Hankypants wirkt nicht, als ob ihm das große Sorgen bereitet. „Das ist halt der Preis für unsere Reichweite.“
Und tatsächlich kommen bei der MLPD die verschiedensten Leute zusammen, treffen sich, mit Plänen die weit über das Satireprojekt hinausgehen. Ein Webshop für die beliebten Propaganda-Poster ist in Arbeit, die Jugendgruppe Liberty Rising bietet inzwischen moderierte Themenabende und einen Minecraft-Server für Libertäre an, ein Verein für freiheitliche Netzpolitik ist in Gründung.
Inzwischen aber ist es deutlich nach Mitternacht. Die Voicechannels haben sich geleert, der endlose Strom an libertären Memes ist zu einem Rinnsal ausgedünnt. Nachtruhe. Sie wird nicht lange halten, denke ich, während ich mich von der libertären Fliterblase verabschiede. Geht fast zu leicht, mit so einem „Ausloggen“-Button.
Wer mehr über die MLPD erfahren und selbst einmal mitdiskutieren will, kann dies leicht tun: Der Discord heißt: https://www.die-marktradikalen.cc/discord Das offene Projekt mit hunderten Forumbewohnern freut sich besonders über Leute, die Lust auf Social-Media haben.
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