Sind Kinderbücher politisch? Und wenn ja, wem dienen Sie? Über den ersten libertären Kinderbuchverleger Deutschlands, die Tuttle-Zwillinge und Literatur als Notwehr.
Enno Samp steht in einem Buchladen und ist wütend. Das passiert ihm häufiger. Vor ihm auf dem Tisch ist ein literarischer Greta-Thunberg-Altar aufgerichtet. Für die Kleinen und ganz Kleinen. Prominent platziert, direkt im umsatzstarken Eingangsbereich. „Mein Name ist Greta“ liegt da, neben „So viel Müll“ und „Weniger ins Meer“. Schräg über der wie immer trotzig dreinblickenden Greta reist die kleine Paula in ihrem eigenen Buch um die Welt um den bösen Klimamord an den niedlichen Eisbären zu verstehen. Ein anderes Buch warnt kindgerecht vor der globalen Erwärmung, fragt: „Wie viel mehr ist 1 Grad?“ Natürlich viel zu viel.
Kinder- und Jugendbücher bilden etwa 16% des gesamten deutschen Buchmarktes. 2018 waren das immerhin knapp 6,5 Millionen Bücher. Wenn sie sich politisch zuordnen lassen, sind sie zumeist eher linksgrün und politisch hoch korrekt. Und seit ein paar Jahren werden viele populäre Serien, die das nicht sind – etwa Pippi Langstrumpf mit ihrem „Negerkönig“ – politisch ein wenig nach-frisiert, bis sie dem Zeitgeist entsprechen. Eine Entwicklung, die übrigens 70% der Deutschen ablehnen wie das Handelsblatt mittels einer repräsentativen YouGov-Studie 2013 feststellte. Wer wie Enno eher ein liberal oder gar libertär denkender Mensch ist, hat das Nachsehen. Bis zu dem Tag als Enno keine Lust mehr hatte das Nachsehen zu haben.
Der Geruch in Ennos kleinem, nicht belüfteten Lagerraum ist erschlagend. Dieser chemische, seltsam ölige Duft nach frischer Drucktinte. 6000 Bücher, ordentlich aufgestapelt, dünsten in dem fensterlosen Raum geduldig vor sich hin. Mein Gesprächspartner liebt diesen Geruch. Es ist der Geruch seines Erfolges, denn Enno braucht Nachschub. Ausgehend von seinem schmucklosen Büro hat er bereits über 10.000 Bücher verkauft. „Ja, wie wird man Verleger?“ grinst er verschmitzt, streicht sich durch das silberweiße Haar und erklärt, dass eigentlich alles mit der Buchserie angefangen hat, die heute sein Verkaufsschlager ist: Die Tuttle-Zwillinge.
Wie auch Enno Samp ist Connor Boyack ein Mann mit gepflegter Ausstrahlung. Der US-Amerikaner schreibt seit 2014 einen nicht abreißenden Strom an Kinderbüchern rund um die beiden geschäftstüchtigen Zwillinge Ethan und Emily und ihre erklärungsfreudigen Eltern. Dabei widmet sich jedes Buch liberalen Grundfragen. Oft steht ein bedeutender Vordenker der Freiheit im Zentrum, etwa Frederic Batiast in „Das Gesetz“ oder Ayn Rand in „Auf der Suche nach Atlas“. Über 1,5 Millionen mal sind die die Zwillinge bereits weltweit über den Ladentisch gegangen. Doch überzeugt man mit Büchern Kinder von der Freiheit?
Die Wissenschaft kennt viele Tricks und Kniffe, um den Kleinen ihre Werthaltungen zu entlocken. Anders als einen Erwachsenen kann man ein Kind nicht einfach so direkt nach seinen Werten befragen. Daher greift die Forschung oft auf Bilder oder Rollenvorbilder zurück. Etwa indem Kinder sagen sollen, ob eine erdachte Person ihnen selbst ähnlich ist oder nicht. Dadurch wissen wir heute, dass Kinder bereits im Alter von sechs Jahren über bestimmte, wenngleich noch eher diffuse Werte verfügen. Mit fortschreitender Entwicklung dann festigen sich diese Werte und differenzieren sich weiter aus. Und da ein Kind immer irgendwelche Werte haben muss, scheint der Kampf um die Kinder so unausweichlich.
Enno selbst sieht es auf jeden Fall so. Sein ruhiges und warmtemperiertes Wesen lässt leicht den Kämpfer hinter den Kinderbüchern vergessen. Da ist viel Zorn und Hingabe. Vor allem aber Beharrlichkeit. Für die Tuttle-Zwillinge ist Enno Samp Herausgeber geworden. Für sie ist er Übersetzer geworden. Hat Stunde um Stunde, nur bewaffnet mit einem Wörterbuch, an Formulierungen gefeilt, hat nächtelang über amerikanischen Redewendungen gebrütet. Zu langsam, um dem unermüdlichen Schreibfluss Connor Boyacks hinterher zu kommen. Jetzt sollen freie Mitarbeiter helfen. Dazumal Boyack inzwischen sein erstes Jugendbuch verfasst. Doch wie viel können ein paar freiheitliche Kinder- und Jugendbücher am Ende ausrichten?
Enno Samp kämpft an gegen ein ganzes Bildungssystem. Schon das Handbuch für Erzieherinnen zur Werte-, Demokratie- und Vielfaltsförderung lässt keinen Zweifel, wie weit die Werte von Freiheitsfreunden wie Enno und dem linkslastigem, pädagogischen Mainstream auseinanderliegen. Das Handbuch, das vom Friedenskreis Halle herausgegeben und u. a. vom Bundesministerium für Familie und dem Land Sachsen-Anhalt gefördert wurde, ist für die Erziehung der ganz Kleinen in den Kindertagesstätten gedacht. Unter seinen Werten tauchen die Worte Freiheit oder Unabhängigkeit nirgends auf. Dafür ganz viel lauwarme Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Ganze Zweige der Bildung sind voll auf Gemeinwohl-Kollektivismus gepolt, wie etwa die sogenannte Demokratiebildung. Noch schlimmer ist es bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung, die faktisch als verlängerter Arm der Grünen hinein ins Klassenzimmer agiert.
„Könnte man sagen, du bist aus intellektueller Notwehr Herausgeber geworden?“, frage ich Enno am Ende unseres Gespräches. Der denkt kurz nach und antwortet: „Ja, das stimmt. Es ist schon eine Art liberaler Notwehr. Oder positiv: Es ist das Schließen einer Marktlücke. Denn liberale beziehungsweise libertäre Bücher für Kinder hat es in Deutschland vor den Tuttle-Zwillingen noch nicht gegeben. Und der bisheriger Erfolg zeigt mir jeden Tag, dass es Bedarf an solchen Büchern gibt.“