Brasilia, die Wiener Seestadt oder Ghost-Cities in China sind das unrühmliche Resultat von ambitionierter zentraler Stadtplanung. Eine nachhaltige Stadtentwicklung braucht weniger Planung von oben und mehr Vertrauen in die Individuen.
In der 10. Klasse stellte uns unsere Kunstlehrerin den brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer vor. Dieser ist vor allem als der Kopf hinter Brasilia bekannt – der Stadt, die explizit designt und gebaut wurde, um die Rolle der Hauptstadt von Brasilien zu erfüllen. Unsere Lehrerin lobte den Architekten und seine Arbeit. Rasch nach ihrem Vortrag meldete sich eine Mitschülerin und fragte die Lehrerin, ob sie schon einmal in Brasilia gewesen sei – die Lehrerin verneinte dies. Meine Mitschülerin erzählte uns, dass sie genau dort vor Kurzem im Urlaub gewesen war. Und anders als unsere Lehrerin war sie von Brasilia nicht begeistert. Während ihres Besuches konnten sie und ihre Familie nicht von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit laufen, denn diese lagen mehrere Kilometer voneinander entfernt. Und da die öffentlichen Verkehrsmittel so schlecht verbunden waren, blieb nur das Auto, um die Stadt zu erkunden. Der Stau, schlechte Straßen und weite Entfernungen zwangen die Familie, die Mehrheit ihres Urlaubs im Auto zu verbringen.
Heute ist das Scheitern Brasilias ein Vorbild für viele Stadtplaner, wie man nicht eine Stadt planen sollte. Der Konsens über die vielen Mängel Brasilias ist gut dokumentiert und ausführlich diskutiert worden. Aber Beispiele wie das von Brasilia sind nicht selten. Auch das eher wenig erfolgreiche Seestadt-Projekt in Wien oder die mehreren Ghost-Cities in China spiegeln dieses Problem wider.
Die nachhaltige Entwicklung von Städten ist stattdessen ein Ergebnis spontaner Ordnung – und der Versuch von Bürokraten, jede Kleinigkeit bis ins Detail vorauszuplanen, ist zum Scheitern prädestiniert. Denn die Interaktion zwischen Individuen, die nun mal soziale Wesen sind, ist hochkomplex und findet dezentralisiert statt. Unsere Freundschaften und Beziehungen entstehen nicht durch eine vorgefertigte Formel. Sie sind ein Ergebnis organischer Natur. Diese Freundschaften und Beziehungen wiederum beeinflussen unser Verhalten und auch unser Zusammenleben. Und somit alles was um uns herum entsteht, wie Städte. Diese unvorhersehbaren Prozesse bestimmen, wo welche Angebote wie Cafés, Restaurants, Kitas oder Supermärkte benötigt werden.
Diese Unvorhersehbarkeit ist das Problem der Planung. Dem Planer fehlt das notwendige Wissen, um im Sinne der Bewohner zu gestalten. Durch zentral verabschiedete Regeln, die in einer meist restriktiven Neubaupolitik und (Über-)regulierungen münden, entstehen künstliche Wohnprojekte, die meist nach einer starren Blaupause umgesetzt werden und nur Fläche zum Maximum ausnutzen, aber die Bedürfnisse der Einzelnen übersehen.
Die Stadtplanung einer kleinen Gruppe von Individuen zu überlassen kann sogar noch heftigere Auswirkungen haben. Robert Moses und New York sind ein gutes Beispiel dafür. Moses, der niemals für seine öffentlichen Ämter gewählt wurde, nahm vierzig Jahre lang großen Einfluss auf die Entwicklung der Stadt. Er war wohl einflussreicher als all die Bürgermeister und Gouverneure. Viele seine polemischen Entscheidungen über die Planung von Schnellstraßen und Viertelentwicklung fielen zu Ungunsten von ärmeren Einwohnern aus, meist aus der Black- und Latino-Community. Dass ein Mann oder eine Gruppe von Individuen so viel Macht über das Leben von anderen haben, sollte vor allem Liberalen hochproblematisch erscheinen.
Viele Stadtplaner gehen davon aus, dass es möglich ist, eine mit Absicht geplante Stadtdynamik einzuführen, in der Individuen ihr Verhalten den Vorstellungen des Planers schließlich anpassen werden. Aber wie die Autorin Jane Jacobs in ihrem Buch The Economy of Cities schreibt: eine Stadt kann kein Kunstwerk sein. Eine minuziös geplante Stadt begrenzt nicht nur die Flexibilität des Alltags der Menschen. Starre Strukturen behindern auch die Entwicklung einer menschlichen Stadt. Selbstverständlich ist damit nicht gemeint, dass die Entwicklung der Städte dem Chaos übergeben werden muss. Denn die Menschen, die vom Planer nicht für voll genommen werden, können selbst ihre Städte gestalten. Für diese Planung brauchen wir Menschen keine geschriebenen Regeln, die uns das Wo, Wie und Wann vorgeben. Unsere Gesellschaft verfügt bereits über solche Regeln, nur, dass diese meist informal und implizit sind. Diese Regeln sind meist negativ: sie sagen uns nicht was man darf, sondern was man nicht darf. Wer sich ein friedliches Zusammenleben wünscht, nimmt Rücksicht auf seine Mitmenschen und erhofft sich, ein ähnliches Verhalten als Antwort zurückzubekommen. Diese Erwartungen der Gesellschaft (oder besser gesagt der Individuen) ändern sich und entwickeln sich weiter zusammen mit der Gesellschaft. Und kein Individuum hat die Möglichkeit diese Entwicklung in ihrer Gesamtheit vorherzusagen – weder ein Ökonom noch ein Stadtplaner.
Infolgedessen geht es nicht darum, ob geplant werden sollte oder nicht, sondern wer diese Planung am besten übernehmen soll, wie Sanford Ikeda schreibt. Die wichtige Frage ist, wer über die besseren Informationen für die Entwicklung vor Ort verfügt. Die Individuen, die selbst betroffen sind, oder ein Bürokrat, der in seinem Büro sitzt? Wenn die Frage ist, ob eine Kneipe sinnvoll ist an der Straßenkreuzung, kann einer, der seit 30 Jahren im Viertel lebt, diese Frage deutlich besser beantworten als der Planer, der sich seit 2 Monaten aus der Ferne mit dem Projekt beschäftigt. Ein banales Beispiel für die Kraft des dezentralen Planens sind die sogenannten „Desire Paths“. Das sind Wege und Pfade, die im Laufe der Zeit dezentral entstanden sind – ohne das Bedürfnis nach Absprachen oder Design zwischen den Individuen. Und häufig gar obwohl bereits Wege existierten.
Stadtplanung sollte sich auf das lokale Wissen stützen und nicht auf die zentrale, homogene Planung des Staates. Dezentrale Planung, die auf lokalem Wissen basiert, ermöglicht Individuen eine freie Entfaltung ihrer Präferenzen und Vorlieben – wo möchte ich leben, mit wem möchte ich mich zusammentun?