Ayn Rand, die Dame mit der Dollar-Brosche und dem harten russischem Akzent, ist schon lange tot. Doch noch immer sind ihre Bücher über die Vorzüge von Individualismus und Kapitalismus Bestseller. Nur nicht in Deutschland.
„Wir müssen unser Gespräch aber vielleicht gleich unterbrechen. Heut’ werden noch ein paar Möbel geliefert.“ erklärt mir Philipp Dammer freundlich. Er lächelt, was in seinem eher hart geschnittenem Gesicht mit den kurzen, blonden Haaren die zahlreichen Lachfalten zur Geltung bringt. Das Interview mit ihm ist ein Skype-Gespräch in den mediterranen Süden, nach Zypern. Wie so viele andere Freiheitsfreunde hat Dammer seinem Heimatland den Rücken gekehrt. Von seinem neuen Domizil mit Meerblick sieht man zahlreiche malerische Häuser an der Küste. Sie werden gerade immer teurer. Nicht nur Dammer, der freiberufliche Comedy-Jongleur im pinken Bananen-Anzug ist hierhin geflohen, tausende produktive Deutsche tun es ihm gleich.
Eine Flucht, die der amerikanisch-russischen Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand wohl gefallen hätte. 1905 im zaristischen St. Petersburg geboren, zieht es die ambitionierte Künstlerin weg aus der sowjetischen Diktatur, in das Eldorado des Kapitalismus: New York. Als sie 1926 die Wolkenkratzer an der Hudson-Mündung sieht, spricht sie von den „Tränen der Pracht.“ In Amerika schließlich wird sie Drehbuchautorin und Schriftstellerin.
In ihren Romanen geißelt sie Kommunismus, Christentum und Kant, vor allem aber: die Selbstlosigkeit. Die Aufopferung des Starken, des Produktiven, des Schöpfers, für die Schwachen, die Nichtstuer und die Mitläufer. In ihrem Hauptwerk: Atlas Shrugged (Deutsch: Atlas wirft die Welt ab/ Der Streik) fliehen die Leistungsmenschen schließlich vor den Gesetzen der menschlichen Parasiten. Sie streiken und bringen so den Motor der Welt zum Stillstand.
Natürlich kennt auch Philipp Dammer diesen Roman. Besser vielleicht als jeder andere Deutsche. Aber noch genauer kennt er die Sachbücher Any Rands. Kapitalismus: Das unbekannte Ideal habe ich 170 mal gelesen“, lacht er fröhlich, „Das lässt sich nicht vermeiden, als Übersetzer, wenn man immer wieder Korrektur lesen muss.“ Und er hat nicht nur dieses eine, sondern alle Sachbücher der kettenrauchenden Grande Dame des Kapitalismus übersetzt. Denn Ayn Rand entwirft in ihren Büchern und Artikeln nicht nur eine politische Idee, sondern eine ganze Weltanschauung. Eine Philosophie aufgebaut auf dem Recht eines jeden Individuums auf sein Leben, sein Eigentum und sein Glück. Der Mensch dient hier nur einem Ziel: sich selbst. Sie nennt diese Philosophie „Objektivismus“. Ein Name abgeleitet aus ihrer Erkenntnistheorie. Und mit dieser Philosophie beginnt auch die objektivistische Bewegung.
Es scheint in Deutschland undenkbar, doch in den USA ist Atlas Shrugged mit seinen über 1000 Seiten eine Art Jugendbuch für die Suchenden. Nach einer Untersuchung der Library of Congress, hat von allen Büchern nur die Bibel mehr amerikanische Leben verändert als Rands Atlas Shrugged. Auch Philipp Dammer wurde früh von Ayn Rand und ihrer Philosophie der Unbeirrbarkeit der Charaktere „geflasht und motiviert“. In einer Lebensphase, in der er unermüdlich trainierte, um Jongleur zu werden. Stundenlag, tagelang, bis die Hände vom Jonglieren schmerzten oder sogar bluteten. „Man muss mehr tun als alle anderen. Sonst ist man nur genauso gut wie alle anderen. Das war aber nie mein Ziel“, erklärt Dammer. Es liegt kein hochnäsiger Stolz in seiner Stimme. Der Satz ist eine schlichte Feststellung. Aber schon diese unverblümte Feststellung trennt ihn von vielen Deutschen.
Im Land der „Dichter und Denker“ ist es für die rationalen Egoisten und Leistungsmenschen eher einsam. So sind auch nur rund 150 Leute in der deutschsprachigen objektivistischen Facebook-Gruppe. Liegt es daran, dass Gruppendenken in Deutschland Tradition hat? Hegel, Kant und Marx, Prediger der Aufopferung des einzelnen, stammen ja hierher. „Ich sehe ja die Verkaufszahlen meiner Übersetzungen. Da muss es noch viel mehr Leser und wohl auch Objektivisten geben.“ stellt Dammer etwas ratlos fest, „aber wie man die erreicht, weiß ich auch nicht.“
Ganz anders sieht es in den Ländern jenseits des ehemaligen eisernen Vorhangs aus. Dort findet der radikale Individualismus Ayn Rands zunehmend ein begeistertes Publikum. Auch im angloamerikanischen Raum ist sie ungebrochen populär. Und so reist auch Philipp Dammer ins Ausland, wenn er andere Objektivisten treffen will. Etwa zur jährlichen OCON (Objectivist Summer Conference) in die USA, wo er beim Quiz berufsbedingt als Kenner brilliert.
Für Deutschland hat er nur bedingt Hoffnung. Nicht zuletzt die Mentalität in der Corona-Krise war für ihn ein Schlüsselerlebnis. Doch dahinter steckt noch eine andere Erkenntnis: Den meisten Menschen liegt ein konsequentes Leben nach klaren Werten nicht: „Jede Denkschule muss mit Leuten fertig werden, die denken ‚Ich möchte mal heute so und morgen so‘. Das scheint sehr verbreitet zu sein. Und der Objektivismus ist da halt rigoros“, erklärt Philipp Dammer. Es liegt keine Wut in seiner Stimme. Ein Objektivist erkennt die Welt wie sie ist. Aber vielleicht liegt eine gewisse Tragik in seinen Worten. Eine Tragik die vermutlich auch Ayn Rand verspürte, als sie schrieb: „Ich verehre einzelne Menschen für die höchsten Möglichkeiten, die in ihnen stecken. Und ich verachte die Menschheit für ihre Unfähigkeit diesen Möglichkeiten zu entsprechen.“