Seit 2009 hat Deutschland mit der PDV eine libertäre Wahloption. Doch die meisten Wähler kennen Sie nicht, und große Wahlerfolge sind bislang ausgeblieben. Haben libertäre Parteien eine Chance?
Den schwarzen Filzhut über dem kahlen Kopf, sitzt Oliver Janich vor einer weißen Wand. Dort redet er regelmäßig in die Kamera und zu tausenden Zuschauern über die Freimaurer und ihre geheimen Corona-Pläne und QAnon. Es fällt nicht ganz leicht in ihm den libertären Focus-Money Redakteur zu sehen, der vor vielen Jahren Deutschlands erste und einzige libertäre Partei gegründet hat.
Es ist ein warmer Frühlingstag im Jahr 2011 als Oliver Janich das Mikrofon ergreift, sich auf seinem schwarzen Bühnenstuhl etwas vorlehnt und ausführt: „Jedes Zentralbankensystem ist bisher pleite gegangen. Und warum passiert das?“ Sein Gesicht ist hier noch deutlich schmaler, das hellweiße Hemd leger aufgeknöpft, seine linke Hand untermalt in flüssigen Bewegungen jeden Halbsatz. Es sind die Kinderjahre der 2009 gegründeten Partei der Vernunft, kurz PDV. Die alten Videos ganz unten auf dem YouTube-Kanal der Partei zeigen den Zauber des Aufbruchs. Janich wie er den Afghanistan-Krieg kritisiert, über das Geldsystem redet und Bürgerfragen beantwortet. Hinter ihm auf der Bühne bisweilen ein Roll-up. Aufschrift: „pdv – Unser Land braucht eine neue Farbe.“
Im Juni 2021 ist der Zauber des Anfangs verflogen, die Kerninhalte geblieben: Geringe Steuern, freie Geldwahl, weniger Bürokratie, keine Schulpflicht – kurz: Weniger Staat, mehr Selbstbestimmung. Via livestream interviewe ich die aktuelle Parteiführung: Parteivorsitzender Frederic Dominicus, ein aufmerksamer und konzentriert wirkender Brillenträger, und Generalsekretär Dirk Hesse, ein jovialer und fröhlicher Bartträger mit rundlichem Gesicht. Die beiden Männer mögen und respektieren sich, das merkt man. Das Bild vom Kopf und Herz kommt einem unwillkürlich in den Sinn. Aber sowohl Kopf und Herz der Partei sind etwas ratlos. „Es ist nicht leicht für mich zu beantworten“, überlegt Dominicus auf die Frage, warum die PDV selbst von der Corona-Politik nicht profitieren konnte. „Ich vermute, konsequent liberale Menschen beschäftigen sich nur ungern mit Politik.“
Nun stehen Hesse und Dominicus nicht alleine vor diesem Rätsel. Wie man eine libertäre Partei an den Mann bringen kann, sorgt selbst im amerikanischen Blüteland des Kapitalismus für Kopfzerbrechen. Auch dort schafft es die Libertarian Party nicht über den Status einer Kleinpartei hinaus. Zwar ist sie unangefochten die Nummer 3 im Land – mit immerhin über 600.000 Mitgliedern – aber der Abstand zu den Republikanern mit ihren 36 Millionen bleibt gewaltig. Und wie auch in der deutschen PDV über den zukünftigen Kurs geknobelt wird, so auch bei der Libertarian Party. Besonders seitdem der kompromisslose Mises Caucus, eine vor allem wirtschaftsliberale Parteiströmung, den Kampf um die Seele der Partei eröffnet hat.
Auch die zehnjährige Geschichte der PDV ist konfliktreich. Gründer Oliver Jahnich trat 2013 von seinem Amt zurück. Nach der erfolglosen Europawahl 2014 verabschiedete sich fast der gesamte Vorstand im Streit, inklusive der Parteivorsitzenden Susanne Kablitz. Von einst über 1000 Mitgliedern sind noch einige hundert geblieben. „Der frühere Vorstand ist sehr dynamisch seinen Weg gegangen und hat nicht alle mitgenommen. Dadurch hat es einen ganz massiven Personalwechsel gegeben.“, beschreibt Dirk Hesse das Problem.
Hinzu kommen die üblichen Probleme einer Kleinpartei: Zu wenig Geld für große Werbung, zu wenig Mitglieder für weiträumiges Plakatieren. Außerdem die Hürde der Unterschriftensammlung für die Wahlzulassung und natürlich wie Dominicus es formuliert: „die Scheu und Angst des Wählers seine Stimme bei einer kleinen Partei zu versenken.“ Die zeigt sich auch in den Wahlen. Noch nie ist die PDV bislang über 0,1% hinausgekommen, bei der Bundestagswahl 2021 ist sie nicht dabei.
Dominucs und Hesse sind trotzdem optimistisch. Über einen Wechsel zur FDP, die „nur Liberal ist, wenn ihr nichts besseres einfällt“, denken die beiden nicht nach. Stattdessen gibt es Pläne für die PDV. Ein neues, umfangreicheres Grundsatzprogramm ist in Arbeit, das konkreter erklärt, wie der Weg aus dem Nanny-Staat ablaufen könnte. Zudem sollen lokale Themen künftig stärker in den Fokus, da diese besonders viele Mitstreiter bringen. Nach zahlreichen Neueintritten ist das Durschnittsalter der PDV zudem stark gesunken. Vielleicht könnte man auch mal über ein neues, „peppigeres Logo“, nachdenken, stellt Hesse schmunzelnd fest.
Zum Abschluss frage ich dann die beiden noch, welchen Satz sie gerne den Lesern mitgeben würden. Dominicus überlegt kurz, dann formuliert er selbstbewusst: „Denkt darüber nach, wer die Gesetze macht. Und denkt darüber nach, wo die Gesetze gemacht werden. Dann findet ihr automatisch den Weg zur PDV.“ Da würde vielleicht sogar der heutige Janich noch zustimmen, auch wenn sich die heutige Parteiführung deutlich von seinen Verschwörungstheorien distanziert.