Die Rentendebatte hat begonnen. Zaghaft zwar, denn die Wahlkämpfer aller Parteien versuchen das Thema nach wie vor zu meiden, doch in den Köpfen der Wähler ist sie vermutlich so präsent wie nie zuvor. Insbesondere junge Menschen hegen ein großes Misstrauen gegen das deutsche Rentensystem. Und nach dem Vorstoß des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministerium, der zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 68 Jahre geraten hat, setzte nun der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall noch einen drauf: an der Rente mit 70 führe kein Weg vorbei.
Auch wenn sich die Politiker zum Thema Rente größtenteils bedeckt halten, hat man in den Parteizentralen bereits mit dem Brainstorming begonnen, wie man das Rentensystem denn vor dem Ruin retten kann. So liest sich wenigstens so mancher noch zurückhaltende Vorschlag in den Wahlprogrammen. Doch leider scheint es unter den Berliner Parteistrategen keine Leser des Freydenkers zu geben, denn die Vorschläge für konstruktive Reformen, die ich im Februar an dieser Stelle beworben habe, sucht man in den Programmen vergebens. Dennoch lohnt es sich, einen Blick hinein zu werfen.
Eine Sache möchte offenbar niemand den Wählern zumuten: Einschnitte. Doppelbesteuerung soll verhindert, Ost- und West-Renten angeglichen und Altersarmut bekämpft werden – diese Punkte finden sich bei fast allen. Auf der linken Seite im Bundestag fallen die Versprechungen besonders vollmundig aus. SPD und Grüne wollen das Rentenniveau auf 48 Prozent halten, bekennen sich zur Grundrente und wollen diese sogar noch ausbauen. Das Programm der Linkspartei liest sich derweil, als solle es in einem Briefumschlag in Richtung Nordpol geschickt werden. Sie verspricht eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und eine „Solidarische Mindestrente“ in Höhe von 1.200 Euro.
Diese ambitionierten Ziele wollen finanziert werden. Zu diesem Zweck schlagen die Parteien verschiedene Maßnahmen vor. Dabei erfreut sich die Bürgerversicherung großer Beliebtheit. SPD, Grüne und Linke wollen auch Beamte, Freiberufler, Selbständige und Berufspolitiker in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen lassen. Auch die AfD möchte Politikerpensionen abschaffen und bestimmte Berufsgruppen nicht mehr verbeamten. Das würde den Kreis der Beitragszahler zwar vergrößern, doch dem eigentlichen Problem, der Mehrbelastung durch den demographischen Wandel wird damit nicht entgegengewirkt. Zumal den Beitragszahlern dabei auch Rentenansprüche erwachsen dürften.
Eine zusätzliche Anhebung des Eintrittsalters, wie sie beispielsweise von Gesamtmetall vorgeschlagen wurde sucht man jedoch vergeblich. CDU/CSU und Grüne wollen an der Rente mit 67 festhalten, SPD und Linke diese sogar zurücknehmen. Immerhin findet man auch Vorschläge zur Flexibilisierung des Renteneintrittsalters, etwa bei Grünen, FDP und AfD. Wer den Ruhestand früher antreten möchte, kann das tun, bekommt aber auch etwas weniger Rente ausgezahlt. Wer hingegen auch im Alter noch fit ist und sich entscheidet, länger einzuzahlen, erhält dafür mehr.
Daneben finden sich weitere Vorschläge, mehr Geld in die Rentenkassen zu spülen, die teils wichtig und richtig sind, aber das Problem nicht an der Wurzel packen. Die Union zum Beispiel erkennt richtigerweise die Bedeutung von Wirtschaftswachstum für das Rentensystem, bleibt in ihren Ausführungen hierzu jedoch schwammig. Die Grünen plädieren für mehr Einwanderung sowie dafür, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu stärken. Die AfD schließlich schlägt die Querfinanzierung der Rentenversicherung durch Steuerzuschüsse vor, eine Praxis die schon jetzt stattfindet. Genau diese Praxis verschleiert die Kosten für die Altersvorsorge und lädt damit zu unnötigen und teuren Rentengeschenken ein.
Doch die grundsätzlichen Probleme des Umlageverfahrens sind damit nicht behoben. Das Errichten zusätzlicher Standbeine für das Rentensystem und die Stärkung von Eigeninitiative wird von den Parteien eher sacht angegangen. Hier und da finden sich halbherzige Bekenntnisse, die betriebliche und private Vorsorge ausbauen zu wollen. Die Vorschläge von zwei Parteien verdienen jedoch Beachtung: der grüne Bürgerfonds und die Aktienrente nach „schwedischem Modell“ der FDP.
Der Bürgerfonds soll nach Ansicht der Grünen die Riester- und Rürup-Rente ersetzen und in dieser Hinsicht eine kapitalgedeckte Ergänzung zum Umlagesystem bieten. In diesen öffentlich verwalteten Fonds sollen alle Bundesbürger einzahlen, die nicht aktiv widersprechen. Über die genaue Zusammensetzung der Finanzprodukte ist nichts zu lesen, außer dass sie ESG-Nachhaltigkeitskriterien entsprechen sollen. Ebenso hält sich die Partei über den einzuzahlenden Betrag bedeckt.
Die FDP hingegen orientiert sich in ihrem Vorschlag einer gesetzlichen Aktienrente an Schweden. Von 18,6 Prozent des Bruttolohns, die derzeit in die Gesetzliche Rentenversicherung fließen, sollen 2 Prozentpunkte in einen Aktienfonds investiert werden. Die Partei verspricht sich hiervon, den Effekt des demographischen Wandels durch Teilhabe am Wirtschaftswachstum in allen Teilen der Welt abzufedern. In Schweden gibt es eine solche Aktienrente bereits seit den 1990er-Jahren und das Land fährt damit sehr gut: in den letzten zehn Jahren betrug die durchschnittliche jährliche Rendite 14 Prozent.
Außerdem hat die FDP einen hilfreichen Vorschlag, um private Altersvorsorge zu erleichtern: sie möchte die Spekulationsfrist wiedereinführen. Mit einer Spekulationsfrist würden Gewinne aus privaten Kapitalanlagen, sofern diese erst nach einer gewissen Zeit veräußert werden – die Partei sieht hier mindestens drei Jahre vor –, steuerfrei. Langfristiges Investieren könnte somit angereizt werden. Außerdem möchte die FDP den Sparerpauschbetrag, also den Betrag bis zu welchem Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich steuerfrei sind, anheben.
Wir müssen vermutlich froh darüber sein, dass das Thema Rente überhaupt Eingang in diesen Wahlkampf gefunden hat. Immer mehr Politiker scheinen festzustellen, dass es vielleicht nicht die beste Idee ist, stets nur Geschenke an jetzige Rentner und die Generation der Babyboomer auszuteilen. Doch Mut, das System grundlegend zu verändern, findet sich in den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl kaum. Die Zusagen, an den Stellschrauben nichts zu ändern, werden jüngere Generationen noch teuer zu stehen kommen. Auch die bei einigen Parteien sehr populäre Bürgerversicherung kann kaum Abhilfe schaffen, da sie neben mehr Beitragszahlern langfristig auch für mehr Rentenbezieher sorgen würde. Und die Ausführungen, das System durch Kapitaldeckung und die Stärkung betrieblicher und privater Vorsorge zu ergänzen, bleiben meist vage.
Zwei Entwicklungen sind jedoch positiv zu bewerten. Erstens scheint die Idee eines flexiblen Renteneintritts an Beliebtheit zu gewinnen. Zweitens betont die FDP das Thema im Wahlkampf sehr stark und hat auch als einzige Partei überzeugende Konzepte für alle, die Wert auf eine nachhaltige und langfristig orientierte Rentenpolitik legen. Und gerade diese Partei könnte nach der Wahl zum Königsmacher werden. Sofern eine rot-rot-grüne Koalition keine Mehrheit bekommt, wird die FDP an allen realistischen Koalitionen beteiligt und könnte im künftigen Regierungsprogramm entscheidende Akzente setzen. Und wenn das alles nicht hilft, bleibt uns zum Glück neben der Wahl zwischen verschiedenen Parteien auch die Wahl eines neuen Heimatlandes.