Unser Kapitalismus ist streitbar. Ist das überhaupt noch Kapitalismus? Oder ist es nicht vielmehr ein System der Eliten, in dem der Staat stets eingreift, um dieses und jenes Ziel zu erreichen? Wer darüber mehr wissen will, ist mit Randall G. Holcombes Buch Political Capitalism bestens versorgt.
Vom Kapitalismus ist häufig die Rede. Die einen feiern ihn, die anderen winden sich vor Abscheu, wenn er zur Sprache kommt. Wieder andere sehen ihn als notwendiges Übel. Ihnen ist aber gemein, dass sie vom Kapitalismus als dem Gesellschaftssystem unserer Zeit ausgehen.
Randall Holcombe nimmt eine andere Perspektive auf die derzeitigen Ökonomien ein. Mit Fokus auf die USA argumentiert er, dass der Kapitalismus seit dem sogenannten Progressivismus des späten 19. Jahrhunderts sich sukzessive in ein neues, viertes System neben Kapitalismus, Sozialismus und Interventionismus gewandelt hat. Also ein ganz neues System mit einer ihm eigentümlichen Logik. Um genau zu sein ein System, das dadurch definiert wird, dass die politische und wirtschaftliche Elite zu beidseitigem Vorteil miteinander kooperieren.
Der politische Kapitalismus, so Holcombe, ist ein System, in dem Profitmaximierung nach wie vor das hauptsächliche Ziel ist. Das ist das kapitalistische Element in ihm – nebst dem Umstand, dass er tendenziell aus einem ursprünglich kapitalistischen System gewachsen ist. Dazu kommt nun aber das politische Element. Denn die Profitabilität speist sich im politischen Kapitalismus nicht mehr daraus, ob ein Unternehmen den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechend produziert. Es geht also nicht darum, jenes Auto oder Smartphone zu bauen, das die Kunden gerne fahren würden.
Die Profitabilität einer Firma basiert auf politischer Macht: profitabel ist, wer über glänzende Kontakte zur Politik verfügt und sich so vorteilhafte Regulierung sichern kann. Zum Beispiel, indem der Staat den Markteintritt möglicher Rivalen verhindert. Oder indem er vorteilhafte Subventionen, Steuererleichterungen oder direkte Deals mit dem Fiskus ausgibt. Dabei sind die Politiker und Bürokraten selbst im Spiel ganz vorne mit dabei. Sie verdienen selber bestens mit. Vielleicht durch die Spende fürs Wahlkampfbudget, vielleicht durch wohlwollende Job-Angebote nach der Politik-Karriere. Holcombe zeichnet hier das Bild einer Elite, die sich eine übermächtige Stellung erkämpft hat.
Politischer Kapitalismus ist nicht unausweichlich. Es kann gelingen, den politischen Kapitalismus wieder einzufangen und in neue, bessere Bahnen zu lenken. Einfach ist das nicht. Man muss sich darüber klar werden, was genau das Problem ist und wie man es lösen kann. Ideen, meint Holcombe, spielen hier eine zentrale Rolle. Auf ihrer Basis können wieder verfassungsrechtliche Schranken aufgebaut (oder verstärkt) werden und jene „checks and balances“ eingeführt, die so zentral sind, um die Eliten einzuhegen. Eine Forderung, mit der man Holcombe in die Linie anderer klassisch Liberaler einordnen.
Holcombe ist in der Lage, mit seinem Buch ein großes Narrativ zu erschaffen, das unsere Gesellschaft und die Phänomene, die in ihr besonders hervorstechen, gut erklären kann. Dabei mag nicht alles komplett zutreffend sein. Und sicher ist es auch notwendig, wie Holcombe selbst betont, nicht von einem reinen System des politischen Kapitalismus auszugehen. Aber nichtsdestotrotz bietet Political Capitalism die Chance, viele bereits intuitiv vorhandene Einblicke in die Verstrickungen unserer Gesellschaft klar ausbuchstabiert zu lesen und damit ein deutlich besseres Verständnis von ihnen zu entwickeln. Und vor allem auch, passende Lösungen für ihre Probleme zu identifizieren.
Dieser Artikel ist ursprünglich im Print-Magazin erschienen, wurde für die Online-Fassung aber deutlich erweitert.