Die Reaktionen bei der „Anti-Atomkraftlobby“ über den angekündigten „Taxonomie“-Entwurf der EU-Kommission, Nuklearenergie als klimafreundlich einzustufen, kochen derzeit über. Gegen Nuklearenergie sein zählt für die meisten Grünen und Klimaaktivisten zu ihrer ideologischen Identität. Doch das ist der Kern des Problems, denn „Follow the Science“-Appelle und umweltpolitischer Dogmatismus vertrugen sich noch nie besonders gut. Diese Janusköpfigkeit in Bezug auf wissenschaftliche Fakten bietet wiederum den Befürworterinnen und Befürwortern der Kernenergie Raum für eine dringend sachlichere und unaufgeregte Neuauflage der Diskussion, wie Atomkraft uns möglicherweise bei der Bekämpfung der Klimakrise helfen kann.
Einige Politikerinnen und Politiker der Grünen und der SPD sowie zahlreiche Klimaaktivisten ließen in den vergangenen Tagen medial schon einige Wutparolen über Brüssel niederprasseln.„Greenwashing“ sei die Entscheidung der EU-Kommission, die Atomkraft in den Taxonomie-Mix aufzunehmen und die Kommission hätte sich widerwillig dem Willen der Atomindustrie gebeugt. Ralf Stegner von der SPD drehte auf Twittter sogar richtig auf und verglich Befürworter von Nuklearenergie mit Querdenkern und Rechtsradikalen, aufgrund der von seiner Warte aus wahrgenommenen Argumentationsmuster. Den Schritt einer Klage gegen die anstehende Entscheidung der EU-Kommission, wie Österreich oder es die EU-Grünen anstreben, wird die Ampel-Koalition wohl aber nicht gehen. Bundeskanzler Olaf Scholz wie auch die FDP sehen das ganze etwas gelassener. Bundesumweltministerin Lemke zweifelt sogar dran, das die geplante Einstufung der Atomkraft als nachhaltige Energiequelle noch verhindert werden kann. Einzig trotzig anmutende Lippenbekenntnisse als Zeichen des Widerstandes werden deshalb nur noch getätigt. Darunter fällt die hartnäckige Ablehnung jedweder Formen der Nuklearenergie als „nachhaltige“ Energiequelle. Die Grünen selbst sahen sich schon unter Druck, kleinlicht bemüht zu betonen, dass die Entscheidung der Bundesregierung, die Aufnahmen von Gas als „grüne“ Energiequelle in die Taxonomie hinzunehmen, lediglich temporären Charakter besitze, da es sich hier um eine notwendige Brückentechnologie handele.
Deswegen ist die strikte Ablehnung der Nuklearenergie seitens der Grünen umso wichtiger für das Image der Partei, da u.a. Bündnisse wie „Friday for Future“ und andere diesbezüglich eine kompromisslose Haltung vertreten. Jene Organisation die sich gerne den Slogan „Follow the science“ auf die Fahnen schreiben, anderseits jedoch wenn es um Kernkraft geht, nur einseitig auf Risiken Bezug nehmen und Weiterentwicklungen in der Reaktortechnik in Punkto Sicherheit, sowie die „CO2 -Armut“ der Kernkraftwerke, vollendendes ignorieren. Fairerweise sollte klar erwähnt werden, dass es strittige Punkte gibt, bezüglich der Lagerung von Atommüll und das viele ältere Reaktorgebilde Gefahrenpotentiale in sich tragen. Auf der Seite der Anti-Atombewegung stehen ebenfalls viele Personen aus der Wissenschaft, die ihre Thesen gegen die Nuklearenergie sachlich begründen. Trotzdem lässt sich nicht leugnen, dass sich die Anti-Atomlobby einer Sprache bedient, die sehr oft auf polemische Narrative und vereinfachte Schemata zurück greift. Trotz ständiger Berufung auf die „Wissenschaft“, wird dennoch eine faire wissenschaftliche Auseinandersetzung vermieden.
Von einem wissenschaftstheoretischen Standpunkt her mag es sowieso umstritten sein, von „der Wissenschaft“ zu sprechen, als handele es sich hier um eine Art allwissende metaphysische Entität, die unser aller Schicksal zu bestimmen vermag. Bestimmten Klimaaktivisten ist daher das Buch unter dem Titel „Follow the Science“ vom Schweizer Psychoanalytiker Peter Schneider herzlich zu empfehlen, wo er Begriffe wie die „Wissenschaft“ oder die“ wissenschaftliche Methode“ anzweifelt und die Meinung vertritt, dass Wissenschaft eben nur divers gedacht werden kann. Zudem ignorieren Teile der Anti-Atomkraftlobby, dass es sogar neben einigen hochanerkannten Wissenschaftlern, wie z.B. der renommierte amerikanische Klimaforscher James E. Hansen, auch Teile der europäischen Klimabewegung zu den Befürwortern der Nutzung von Nuklearenergie zählen.
Die Frage stellt sich, warum einerseits es der Bundesregierung leichter fällt eine bedingt umweltschädliche Energiequelle wie Gas als Übergangslösung zu akzeptieren und anderseits Atomkraft alternativlos abzulehnen? Johannes Güntert meint dazu „Der Gründungsethos der Grünen basiert auf einer Ablehnung der Kernenergie. Wird dieser verlassen, müsste sich diese Partei von Grund auf reformieren“. Die Partei wäre dazu veranlasst Wege zu beschreiten, „wie sie die Grünen in Finnland bereits gehen: der “Grüne Bund” Vihreä liitto befürwortet die Kernenergie“, so Güntert. Die Haltung der Ampelkoalition zum “altgrünen” Narrativ der Ablehnung von Kernenergie, sei deswegen für ihn nachzuvollziehen. Mit der Aufnahme einerseits von Gas in die „EU-Taxonomie“ sei es nach Güntert klar, dass hier „der Fossil-Industrie unbeabsichtigt in die Karten gespielt wird“.
Der Wirtschaftsinformatiker und Unternehmensgründer ist Vertreter des Konzeptes der Ökomoderne, welches seine damalige Haltung als Atomkraftgegner sowie seine Einstellung zur geplanten Energiewende veränderte. „Ökomodernisten“ wie Güntert möchten eine Reform der aktuellen Klimaschutzpolitik und Debatten fördern, die neue Ansätze für „Energie, Rohstoffe und Landwirtschaft“ diskutieren. Dabei soll ein globaler Wohlstand erreicht werden, der saubere Energiequellen zum Ziel hat. „Ökomodernisten“ haben die generelle Ansicht, „dass Industrialisierung, Globalisierung und Modernisierung untrennbar von Klima- und Naturschutz sind“.
Güntert ist zudem Vorstandsmitglied des Vereins Ökomoderne e.V., dessen Ziel es ist, sich für einen Mix von allen Energiesystemen mit niedrigen CO2-Emissionen einzusetzen. Dazu gehören Technologien wie Kernenergie, Carbon Dioxide Storage, Wasserkraft, Windkraft und Solarenergie. Beim Aktivismus gegen die Nuklearenergie werden gerne Narrative verwendet. Die „Angstpolitik vor der Kernenergie erschließt sich alleine schon aus dem Begriff “Atomkraft”, der von Gegnern der Kernenergie breit etabliert wurde, um eine Nähe zur “Atombombe” zu suggerieren“, so Güntert. Er finde es wichtig, dass gegenüber der Kernenergie eine objektivere Sicht eingenommen wird, weil für ihn „diese Energieform die einzige ist, die im Stromnetz einer Nachfrage der Verbraucher folgen kann und wie die Erneuerbaren primär CO2-frei ist, da Kernspaltung und der Betrieb der Erneuerbaren kein CO2 emittiert.“ Mit Primär meint Güntert, dass die CO2-Emissionen, die der Kernenergie und den Erneuerbaren zugerechneten werden, „sekundär und nur abhängig vom Grad der Dekarbonisierung aller Sektoren im jeweiligen Land“ sind. „Fossile Brennstoffe für Transport, Betonherstellung, Betrieb, Rohstoffförderung und Bau der Anlagen“, seien nach ihm die Ursache für die C02-Emissionen.
Als Nachteil bei den Erneuerbaren identifiziert Güntert, „dass sie nur dann Energie bereitstellen, wenn und wann das Wetter passt“. Deshalb würde Kernenergie und Erneuerbare sich perfekt ergänzen, da so „angedachte Zusatzanlagen für ein 100% Erneuerbar-System wie Stromspeicher, Elektrolyseure und Backups als reine unproduktive Energiewandler wegfallen könnten und die Erneuerbaren wieder ihre preislichen Vorteile als Erzeuger ausspielen könnten“. Für die Zukunft der Kernenergie ist der Ökomodernist optimistisch gesinnt, denn „insbesondere ihre Weiterentwicklung in der 4. Generation oder später gar die Kernfusion, ist bereits jetzt bei der Regelbarkeit weitaus besser als ihr Ruf“, da sie im Bedarfsfalls dem Angebot der Erneuerbaren dezentral nachfahren können, also dort wo die Energie gerade am dringendsten gebaucht wird.
Die durch den „Taxonomie“ Entwurf der EU-Kommission entstandene öffentliche Debatte drängt die Politik zur einer Diskussion über das Thema Kernenergie. Wird der vermeintliche Konsens, der seit der von Altkanzlerin Merkel beschlossenen Entscheidung zum „Ausstieg“ aus Kernenergie, welcher auch in der Union akzeptiert wurde, nun bröckeln? Die derzeit im Bundestag vertretenden Parteien überlassen dieses Feld derzeit allein der tendenziell wissenschaftsfeindlichen Partei AfD, welche aktuell als einzige für „Pro-Atomkraft“ steht. Diesbezüglich vertritt Johannes Güntert eine ganz klare Meinung, denn die AfD sei für ihn als „radikalpopulistische Partei in dieser Diskussion nicht ernst zu nehmen.“ Sie vertrete, so Güntert, „ihre Positionen mit dem Ziel, die Demokratie im Parlament zu unterwandern und auszuhöhlen. Kernenergie ist nur deren Trittbrett, um ihre Erzfeinde von den Grünen anzugreifen. In Finnland wäre die AfD demnach gegen die Kernenergie“
Deshalb sei es für ihn dringend notwendig, dass die etablierten Parteien sich der Diskussion über die Kernenergie öffnen. „Ich sehe hier die CDU-Opposition mit Merz als erste, die sich demnächst dazu äußern wird“, und die SPD sei nach seiner Meinung historisch gesehen immer eine Partei gewesen, die offen gegenüber der Kernenergie gewesen wäre. „Ich erinnere an Helmut Schmidt, der sich für Kernenergie stark gemacht hatte. Er sah allgemeine volkswirtschaftliche Wertschöpfung in einer Sozialen Marktwirtschaft als wichtige Stütze der Sozialsysteme an.“
Die Positionen von Güntert mögen nur einige von vielen sein in der Diskussion rund um die Kernenergie als potenzielle „grüne“ Energiequelle. Derzeit sind sie sogar höchstwahrscheinlich nur eine Minderheitsmeinung in der Debatte um die Erneuerbaren. Ökomodernisten wie Güntert ist es jedoch daran gelegen, diese Debatte auf einer wissenschaftlichen Grundlage zu führen. Bewegungen die gerne den Slogan wie „Follow the science“ verwenden, um damit darauf hinzuweisen, dass sie auf der Seite der „Aufklärung“ stehen, sollten deshalb fairerweise auch bereit sein, diese Diskurse anhand wissenschaftlicher Argumente zu führen. Denn sonst werden solche „Sinnesbotschaften“ schnell zum Futter für das Phrasenschein und aus „Follow the science“ wird ein trotziges „ Just follow my science“.
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