Wenn Wörter zu oft benutzt werden, lässt sich häufig feststellen, dass sich ihre eigentliche Bedeutung verändert und am Ende oft das Wort nur noch als Worthülle steht, ohne tiefere Bedeutung. Die Rechtsstaatlichkeit ist so ein Wort, welches uns häufig über den Weg läuft, was auf den ersten Blick etwas sperrig klingt und welches sich in den letzten Jahren etwas abgenutzt hat. Dabei verbirgt sich hinter diesem Wort nicht weniger als das Fundament unserer Gesellschaft.
Ob nun in der Corona-Pandemie, der Euro-Krise oder bei der Bekämpfung von Kriminalität, das Wort „Rechtsstaatlichkeit“ erfreut sich ständiger Beliebtheit. Für viele gehört es schon zum guten Ton, sich darauf zu berufen und damit einen Schlussstrich unter eine Aussage zu ziehen. Denn wir als Staat sind per Definition im Grundgesetz ein Rechtsstaat. Wer sich drauf beruft, beruft sich auf den Kern unseres Zusammenlebens, nämlich unsere Verfassung.
Doch was ist die Definition dieses Begriffes, was verbirgt sich hinter der Rechtsstaatlichkeit? Per Definition ist die Rechtsstaatlichkeit ein Attribut eines Staates, der Grundrechte seiner Bürger garantiert, wo staatliche Entscheidungen von unabhängigen Gerichten überprüft werden können und wo öffentliche Institutionen nur im Rahmen von Gesetzen handeln dürfen – einen solchen Staat bezeichnen wir als Rechtsstaat.
Warum die Rechtsstaatlichkeit eine solche wichtige Bedeutung hat, zeigen die Wirtschaftswissenschaftler Daron Acemoglu und James A. Robinson eindrucksvoll in ihrem 2013 erschienenen Buch „Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut“. Sie beschreiben darin inklusive politische Institutionen als die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Staat. Für sie sind inklusive Institutionen ein Synonym für den Begriff „Rechtsstaat“. Für sie handelt es sich dabei um eine Gesellschaft, die eine unabhängige Justiz hat und somit die Rechte aller Menschen wahrt. Dem gegenübergestellt sind Staaten ohne „Rechtsstaat“ mit ausbeuterischen Institutionen, in denen eine korrupte und autoritäre Regierung herrscht.
Mit dem Thema, wie ein Rechtsstaat aussehen soll, hat sich auch Friedrich August von Hayek tiefgehend beschäftigt. Für ihn gibt es drei Grundsäulen der Zivilisation, auf die sich eine Gesellschaft berufen muss, die einen Staat aufbauen möchte. Dabei handelt es sich um Friede, Freiheit und Gerechtigkeit. Nur ein Staat, der sich auf diese drei Grundsäulen beruft, kann sich zu einem Rechtsstaat entwickeln. Weitergehend heißt das, dass eine solche Gesellschaft insbesondere die Freiheit und damit auch die Rechtsstaatlichkeit schützt und entwickelt. Für Hayek bedeutet die Rechtsstaatlichkeit also immer, dass sich der Mensch als freier Mensch entfalten kann und seine Ziele nicht durch andere Menschen oder den Staat beeinflusst werden. Der Staat ist ein Rechtsstaat, der diese Rechte schützt – er lenkt die Gesellschaft nicht, sondern lässt den Menschen freien Lauf, ihre Vorstellungen umzusetzen. Das Ideal des Rechtsstaates sind allgemeine, abstrakte Regeln, die für alle gleich sind. Interventionen in das Recht führen meist dazu, dieses Prinzip durch eine Einzelfallgerechtigkeit zu ersetzen.
Vergessen werden dürfen jedoch auch nie die Gefahren, die in einem jedem Rechtsstaat lauern. Hayek beschreibt dies eindrucksvoll, in dem er deutlich macht, dass insbesondere in der Demokratie die Allmacht von Institutionen beschränkt werden muss, da diese häufig von Interessengruppen, aber auch von Regierungen missbraucht werden. Somit bedeutet der Rechtsstaat nicht nur Rechte für die Bürger, sondern auch Schutz vor einem übergreifenden Staat, der sich immer mehr von den Bürgern holt. Letztlich sorgt der Rechtsstaat für Machtbegrenzung durch Machtverteilung. Die Gewaltenteilung steht für dieses Prinzip. Eine Regierung darf nicht alles, aber auch ein Parlament darf nicht alles. In unserer Verfassung sollen die Grundrechte jedes Einzelnen die Macht der Mehrheit begrenzen. Sie sind individuelle Rechte, die auch gegen die Macht der Regierung, des Parlaments oder einer gesellschaftlichen Mehrheit gelten. Auf diesen Schutz der individuellen Freiheit konnten wir uns in der Vergangenheit aber nur verlassen, wenn die öffentliche Meinung dies auch so sah. Hayek schrieb dazu: „Wo immer es individuelle Freiheit gab, war sie weitgehend das Ergebnis der Achtung, welche man solchen Grundsätzen entgegenbrachte, die freilich nie vollständig in Verfassungsurkunden ausformuliert waren. Freiheit ließ sich über längere Zeiträume erhalten, weil derartige, wenn auch nur vage und undeutlich wahrgenommene Grundsätze die öffentliche Meinung beherrschten.“
Doch was hat dies nun mit Rechtsstaatlichkeit zu tun? Wenn wir das Wort „Rechtsstaatlichkeit“ benutzen, sollten wir nicht vergessen, dass sie das Fundament unserer freiheitlichen Grundordnung ist. Die Rechtsstaatlichkeit ist nichts anderes als der Schutz des allgemeinen Bürgers vor den Eingriffen des Staates oder anderer Institutionen. Es ist deshalb auch heute umso wichtiger zu erkennen, dass wir die Rechtsstaatlichkeit immer verteidigen müssen, wenn sie angegriffen wird. Oft geschieht dies im Namen der „Zweckmäßigkeit“ oder des „Pragmatismus“. Doch auch oder insbesondere in diesen Momenten darf es keine Ausnahmen gehen. Die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit bedeutet die Durchsetzung von Recht, wer dieses auch nur für Einzelmaßnahmen aushöhlt, bringt damit die gesamte gesellschaftliche Ordnung ins Wanken.
Wenn wir nun also vor der nächsten politischen Entscheidung stehen, die uns aufgrund einer „pragmatischen Notwendigkeit“ aufgezwungen wird, sollten wir uns darüber bewusst sein, was es bedeutet, wenn sich für die Nichteinhaltung von Regeln entschieden wird. Rechtsstaatlichkeit ist in ihrem Kern die Freiheit des einzelnen Bürgers. Für diese Freiheit lohnt es sich einzutreten.
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