Alexander Grau ist ein freier Publizist, Buchautor und Kultur- und Wissenschaftsjournalist, der unter anderem beim Cicero schreibt. Grau ist promovierter Philosoph.
Wann haben Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben den Wert von Freiheit erkannt?
Als ich das erste Mal Zwang erfuhr. Ob durch meine Eltern oder durch die Schule weiß ich nicht mehr. Nicht missverstehen: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern, die mich wenig autoritär erzogen haben, und auch an die Schule habe ich guter Erinnerung. Dennoch hat mich insbesondere der Zwang der von Institutionen – wie etwa der Schule – ausgeht, sehr früh beschäftigt und geärgert.
Welches Buch hatte den größten Einfluss auf Ihr Leben?
Ich würde nicht sagen, dass irgendein spezielles Buch besonderen Einfluss auf mein Leben hatte. Aber es gab Bücher, wo ich etwas fand, das mich sehr beschäftigte und das ich zu diesem Zeitpunkt so nicht hätte ausdrücken können. Nietzsches Götzendämmerung etwa, Sartres Existenzialismus-Humanismus-Vortrag, Camus Sisyphos. Später im Studium hat mich Wittgensteins Tractatus sehr beeindruckt und natürlich – wie so viele meiner Generation – Rortys Kontingenz, Ironie und Solidarität.
Und welcher Denker hatte den größten Einfluss auf Sie?
Auch hier ist es schwer zu unterscheiden, ob Denker wirklich Einfluss auf einen haben oder ob man einfach mit den Denkern sympathisiert, die das schreiben, was man selbst denkt. Aber sicher haben mich die schon genannten Existentialisten geprägt, keine Frage. Wittgenstein war ein wirkliches intellektuelles Erlebnis. Und Hegel hatte mich immer wieder fasziniert.
Was ist Freiheit und wo liegen ihre Grenzen?
Freiheit ist die Freiheit von Zwang. Wir reden zuviel von den Grenzen der Freiheit. Erst Einmal sollte es überhaupt keine Grenzen der Freiheit geben. Es ist entlarvend: Wann immer von Freiheit die Rede ist, folgt umgehend das „aber“: Freiheit ist wichtig, aber sie hat ihre Grenzen – etwa in der Freiheit des anderen. Mag sein. Ist aber uninteressant. Man sollte von der Freiheit reden. Nicht von ihren Grenzen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Freiheit seit der Wende? Was ist zurzeit ihre größte Bedrohung?
Es steht nicht gut um die Freiheit. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Knapp formuliert liegen sie in der Logik postindustrieller Wohlstandsgesellschaften und deren medialem System. Besonders perfide daran ist, dass den Menschen immer mehr Freiheiten im Namen der Freiheit genommen werden. Die modernen Feinde der Freiheit bekennen sich ja nicht offen zur Unfreiheit und zum Zwang, sie kommen als Verteidiger der Freiheit daher. Freiheit wird eingeschränkt im Namen der Freiheit. Demokratie wird eingeschränkt, um die Demokratie zu verteidigen. Meinungsfreiheit wird eingeschränkt im Kampf für Meinungsfreiheit. Die größte Gefahr für die Freiheit geht nicht von den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts aus, sondern von den spätmodernen Anwälten der Freiheit.
Brauchen wir Freiheit in den nächsten Jahrzehnten?
Erwischt: falsche Frage. Indem Sie nämlich fragen, ob wir – wer ist das eigentlich? – Freiheit brauchen, verleiten Sie Ihren Gesprächspartner dazu, anderen ein Lebensstil oder ein Weltbild aufzudrücken. Keine Ahnung also, ob wir in den nächsten Jahrzehnten die Freiheit brauchen. Das ist mir auch ziemlich egal. Ich aber brauche sie. Und für die meiner Kinder werde ich kämpfen.
Wenn Sie eine riesige Botschaft am Brandenburger Tor platzieren könnten, was würde darauf stehen und warum?
Keine. Es gibt nichts schlimmeres als Botschaften, Parolen oder Propaganda im öffentlichen Raum. Sie sind lästig. Sie wollen für dumm verkaufen. Ich brauche keine Parolen und will von ihnen verschont werden. Ich glaube es gibt ein Grundrecht des Menschen, von Parolen verschont zu bleiben. Sie vernebeln das Gehirn.
Was würden Sie einem jungen Menschen raten, der gerade ins Berufsleben eintritt? Welchen Rat sollte er ignorieren?
Erster Rat: Sei skeptisch gegenüber jedem guten Rat. Zweiter Rat: Tue das, worauf Du Lust hast. Drittens: Ignoriere jeden Rat, der Dir einzureden versucht, dass Du etwas nützliches tun sollst, etwas, mit dem man später mal etwas anfangen kann oder das gut in den Arbeitsmarkt passt. Leute! Es ist Euer Leben und ihr habt nur eins. Das ist zu wichtig, um es nach dem Arbeitsmarkt auszurichten.