In diesen Tagen wird häufig die Forderung vorgebracht, dass sich die Gesellschaft um eine geschlechtergerechte Sprache bemühen muss. Diesem Ziel wird insofern große Bedeutung beigemessen, als der gegenwärtige Sprachgebrauch in mehrerlei Hinsicht problematisiert und eine Reihe von gesellschaftlichen Missständen verantwortlich gemacht wird.
Besonders die Verwendung des generischen Maskulinum steht hierbei seit geraumer Zeit in der Kritik. Im Deutschen ist es gängige Praxis, Gruppen, denen sowohl Frauen als auch Männer angehören, mit einem generischen Maskulinum zu adressieren. Ein häufiger Anwendungsfall hierfür sind Berufsbezeichnungen. Mit Blick auf eine Gruppe von weiblichen und männlichen Studenten ist so beispielsweise von Studenten die Rede. Diese Praxis wird nun kritisiert, da solche Formulierungen Frauen nicht berücksichtigen würden. Mit solchen Formulierungen würden nur die männlichen Mitglieder der Gruppe angesprochen, nicht jedoch die weiblichen Mitglieder. Die Betroffenen würden hierdurch eine persönliche Abwertung erfahren. Von der Sprache gehe daher eine Ungerechtigkeit aus, die es zu vermeiden gelte.
Ein Lösungsvorschlag lautet, inklusive Formulierungen zu wählen, um eine (sprachliche) Ausgrenzung zu verhindern. Als aussichtsreiche Kandidaten werden unter anderem sogenannte Partizip-Formulierungen (Studierende, Lehrende, etc.) oder Formulierungen wie “Kolleg:innen” angesehen. Solche offenen Formulierungen scheinen geeignet, den angesprochenen Personenkreis zu adressieren, ohne hierbei eine geschlechtsbezogene Differenzierung bzw. Ausgrenzung vorzunehmen. Auf diese Weise soll dem Problem der Nichtbeachtung und der damit verbundenen Geringschätzung begegnet werden. Diese Position findet mittlerweile große Zustimmung, was sich auch anhand der Bemühungen vieler zeigt, die eigene Ausdrucksweise entsprechend anzupassen.
Neuere Untersuchungen kommen nun allerdings zu bemerkenswerten Ergebnissen. In einer einfallsreichen Versuchsanordnung wurden Probanden mit Formulierungen im generischen Maskulinum konfrontiert, die anschließend nach einem weiblichen oder männlichen Individuum aufgelöst wurden. War also zunächst von einer Gruppe von Ärzten die Rede, wurde im darauffolgenden Satz eine weibliche oder männliche Person dieser Gruppe vorgestellt. Die Untersuchungsergebnisse zeigen nun, dass diese einseitigen Auflösungen die Probanden in der Regel nicht irritieren, wobei dies sowohl für männliche als auch für weibliche Auflösungen gilt.
Dies lässt folgenden Schluss zu: Das generische Maskulinum wird überwiegend inklusiv verstanden. Personen, die von Studenten, Ärzten etc. sprechen, haben dabei eine gemischte Gruppe vor Augen, und auch ihre Adressaten verstehen diese Formulierungen dementsprechend. Hieraus lässt sich weiter folgern, dass sich auch die Bedeutung unserer Sprache anpasst, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern. Die Sprache ist in dieser Hinsicht wandelbar, die Begriffe sind nicht starr an ihre ursprüngliche Bedeutung gebunden. Wenn früher die Rede von Ärzten war, mag man hierbei ausschließlich eine Gruppe von Männern vor Augen gehabt haben. Heute aber assoziiert man mit derselben Formulierung eine Gruppe, die sowohl aus Ärztinnen als auch Ärzten besteht. Diese Befunde stellen nun aber das gängige Argument für eine geschlechtergerechte Sprache in Frage, da sie den Vorwurf einer geschlechtsbezogenen Ungerechtigkeit relativieren.
Die Notwendigkeit einer geschlechtergerechten Sprache erübrigt sich damit allerdings nicht, da es einen weiteren Aspekt zu berücksichtigen gilt. So existieren nach wie vor Berufsbezeichnungen, die sehr wohl stereotype Vorstellungen hervorrufen und folglich exklusiv verstanden werden. Dies ist gerade in solchen Bereichen der Fall, in denen noch keine Gleichberechtigung besteht. Exemplarisch hierfür sei auf Situationen verwiesen, in denen von Bauarbeitern, Ingenieuren oder Chirurgen die Rede ist. In diesen Fällen besteht ein ernstzunehmendes Problem: Berufsbezeichnungen, die nach wie vor exklusiv verstanden werden, können den erforderlichen Veränderungen insofern im Weg stehen, als sie den betreffenden Bereich nicht als mögliches Tätigkeitsfeld für potenzielle Interessentinnen zu erkennen geben.
Geschlechtersensible Begriffe sind also gerade dann von Bedeutung, wenn die bisherigen Begriffe noch nicht inklusiv verstanden werden, da im betreffenden Kontext nach wie vor ungleiche Verhältnisse bestehen. Gerade in Bereichen, in denen noch erheblicher Handlungsbedarf in Bezug auf die Gleichberechtigung besteht, kann ein bewusster Sprachgebrauch somit für Sichtbarkeit sorgen und so die gesellschaftliche Entwicklung unterstützen. Eine geschlechtersensible Sprache soll in diesem Fall signalisieren, dass dieser Tätigkeitsbereich – entgegen der bisherigen Verhältnisse – Frauen und Männern gleichermaßen zugänglich ist. In diesen Fällen geht es allerdings weniger um eine adäquate Repräsentation der Geschlechter, sondern um eine Signalfunktion der Sprache.
Wenn also tatsächlich mehr Gleichberechtigung im Sinne von gleichen Zugangsmöglichkeiten erreicht werden soll, dann gilt es konkrete Verbesserungen in den betreffenden Bereichen anzustreben. Das bedeutet in vielen Fällen: Beseitigung von Diskriminierung, Belästigung, Zugangsbeschränkungen etc. Eine geschlechtersensible Sprache kann dieses Vorhaben unterstützen. Zu diesem Zweck müssen die gewählten Bezeichnungen und Formulierungen die betreffenden Personengruppen gezielt ansprechen. Welche Formulierungen hierfür geeignet sind, ist eine empirische Frage.[1] Geschlechtsneutrale Bezeichnungen sind hierfür aber wohl eher nicht geeignet.
Vor diesem Hintergrund möchte ich abschließend für eine geschlechtersensible Sprache plädieren. Eine geschlechtersensible Sprache möchte das Ziel der Gleichberechtigung gezielt unterstützen. Hierfür wird man situativ abwägen müssen, wann geschlechtersensible Formulierungen vonnöten sind. Entscheidend ist daher, dass sich der einzelne Sprecher oder die einzelne Sprecherin den Kontext der Formulierung bewusst macht und ein gutes Urteilsvermögen an den Tag legt. Mögliche stilistische Beeinträchtigungen, die damit verbunden sind, muss man im Sinne einer wichtigen Sache – der Gleichberechtigung – in Kauf nehmen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Debatte zu entspannen, indem man nicht hinter jeder Formulierung eine gravierende Ungerechtigkeit vermutet.
[1] Der Duden versucht diesem Anspruch seit geraumer Zeit gerecht zu werden, indem er für die weibliche Form von Berufsbezeichnungen jeweils einen eigenen Eintrag vorsieht. In diesem Sinne gibt es jeweils eigene Einträge für “Chirurgin” und “Chirurg”, “Bauherrin” und “Bauherr” etc.
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