Bürokratie nervt. Aber wären wir ohne glücklicher? Schließlich verleihen Stempelkissen, Topfpflanzen und DIN-Normen unserem Leben auch irgendwie Stabilität. Und ein Leben ohne Bürokratie ist auch kein Ponyhof.
Deutschland dagegen ist schon wie ein Ponyhof. Die Pferdeäpfel hat nur schon länger niemand mehr weggeräumt. In Deutschland Unternehmer zu sein, ist daher ein bisschen wie mit einem sehr sturen Pony an einem Pferderennen teilzunehmen: Zappeln und schreien kannst du wie du willst, deine Baugenehmigung kriegst du trotzdem nicht schneller. Brave Unternehmer mit Kontakten bis in die Ponyhof-Chefetage dürfen dafür auf Subventionen und Wettbewerbsverzerrung zu ihren Gunsten hoffen. Diese Unternehmen sind wie Sportler auf Anabolika und Wachstumshormonen: Kurzfristig erfolgreich, langfristig aber von Krankheit und Zerfall geplagt.
Dazu schaffen Eingriffe in die Wirtschaft Abhängigkeiten: Durch Subventionen, Bailouts oder Staatsbeteiligungen hängen insbesondere kriselnde Unternehmen am Tropf der Politik. Diese Zombieunternehmen sind auf sich gestellt nicht mehr überlebensfähig, nehmen mit Hilfe des Staates aber weiter am Wirtschaftsgeschehen teil: Sie beschäftigen Mitarbeiter, nutzen Verkaufsflächen – sie binden Kapazitäten, wie als sie noch profitabel gewesen sind. Das Scheitern dieser Unternehmen, das man verhindern möchte, ist jedoch wichtiger Bestandteil einer Marktwirtschaft, weil es Nährboden für Innovation und Verbesserung bietet. Ein gutes Produkt verdrängt ein schlechtes, ein effizientes Unternehmen löst ein ineffizientes ab, der Apple Store ersetzt den Schlecker. Politiker, die sich über die Entscheidungen der Konsumenten hinwegsetzen, blockieren diese Entwicklung und verhindern, dass frischer Wind ins Wirtschaftsleben kommt. Und dabei wäre es so wichtig, einmal wieder kräftig durchzulüften.
Während Ökonomen Aufstieg und Fall von Unternehmen als Teil einer gesunden wirtschaftlichen Dynamik sehen, ist für Politik und Verwaltungsapparat jedes gescheiterte Unternehmen eine verpasste Chance. Die Beteiligung des Staates sichert nicht nur Macht und Kontrolle, man kann im nächsten Wahlkampf auch erzählen, wie viele Arbeitsplätze man gerettet hat. Ich bin mir sicher, heute hätte man auch für die Hersteller von Pferdekutschen und Schreibmaschinen milliardenschwere Rettungspakete geschnürt.
Mit erweitertem Zuständigkeitsbereich steigt aber auch der Ressourcenbedarf der Behörden. Mehr Büros, mehr Mitarbeiter, mehr Topfpflanzen also. Immer mehr Menschen lenken dann mit immer mehr Geld immer ineffizientere Unternehmen, während immer weniger Menschen Wohlstand schaffen. Ein Wohlstand, der mehr und mehr in staatsnahe Betriebe gelenkt wird, wo er von Misswirtschaft und ineffizienten Strukturen vernichtet wird. In einem solchen Staatsinterventionismus ist der Konsument nicht mehr der Kapitän, der seinem Steuermann, also dem Unternehmer, die Richtung weist. Was und wie produziert wird, Erfolg und Misserfolg von Unternehmen, darüber entscheiden dann nicht mehr wir mit unserem Kaufverhalten, sondern Politik und Verwaltungsapparat. Zufriedene Kunden spielen bei Subventionen in Milliardenhöhe keine große Rolle. Bei diesem steuerfinanzierten Selbstbedienungsladen vorne in der Schlange zu stehen, ist wichtiger. Auch Risikomanagement verliert für viele Unternehmen an Bedeutung. Heute gilt: Wer genug Mitarbeiter beschäftigt, genug Vermögen verwaltet oder aus anderen Gründen als systemrelevant angesehen wird, dem droht im schlimmsten Fall ein Bailout auf Kosten der Steuerzahler.
Was nach solchen Interventionen übrig bleibt, ist eine Wirtschaft, die nicht mehr die wahren Präferenzen der Konsumenten widerspiegelt. Es ist eine vollgedröhnte Wirtschaft, abhängig von den Mitteln des Staates und voll mit morbiden Unternehmen, die nur eine schöne Fassade, einen Schein von Prosperität erzeugen.
In der Wirtschaft richten diese Interventionen großen Schaden an, sodass die deutsche Wirtschaft deutlich hinter ihrem Potenzial zurückbleibt. Trotzdem ist die Wirtschaftslenkung nur ein Tentakel eines großen bürokratischen Kraken, der mittlerweile in allen Bereichen unseres Lebens wütet: Unternehmen, die Ausländer nach Deutschland holen wollen, haben mit langen und komplizierten Verfahren rund um Einreiseformalitäten zu kämpfen, das deutsche Steuersystem ist das komplizierteste der Welt und deutsche Bauvorschriften sind so absurd, dass ich ihnen einige Zeilen widmen möchte:
Jedes Detail des Bauens ist über eine Vorschrift, eine sogenannte DIN-Norm, geregelt. Von diesen für den Hausbau relevanten DIN-Normen gibt es rund 3.700 in Deutschland, und ständig kommen neue hinzu. Der (sehr fragwürdige) Prozess vor der Entstehung einer neuen DIN-Norm sieht so aus: Ein Unternehmen entwickelt ein neues Sicherheitsglas, eine Tür, die besser vor Brand schützt, oder ein anderes Produkt mit besonderen Eigenschaften. Eigentlich eine tolle Sache, aber nun versucht man eine DIN-Norm zu erwirken, die dieses Produkt für alle neu gebauten Häuser verpflichtend macht. Zuständig ist das Deutsche Institut für Normung, dessen Entscheider häufig selbst aus der Industrie kommen. Ein Hersteller für bodentiefe Fenster aus Sicherheitsglas könnte beispielsweise vor den Vertretern des Instituts argumentieren, dass Kinder auf Bobbycars gegen die Fenster fahren könnten und man deswegen doch Sicherheitsglas auch bei bodentiefen Fenstern zur Pflicht machen sollte. Nur der Sicherheit wegen natürlich. Wenn das Institut für Normung den Vorschlag bewilligt, wird es zur Pflicht, diese Fenster zu verbauen. Auch für Haushalte ohne Bobbycar fahrende Kinder. Die Industrie schreibt sich also mit Hilfe des Staates ihre Normen nach Belieben selber, und Sicherheit ist dafür nicht mehr als ein nützlicher Vorwand.
Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung war der Bau des Berliner Flughafens. Es war abzusehen, dass der Staat mit diesem Bauprojekt überfordert sein würde. Bemerkenswert ist, wie die Industrie diesen Umstand ausnutzte. Zunächst verbaute man die durch DIN-Normen vorgeschriebenen Fenster, Türen und Einrichtungsgegenstände. Nachdem der Bau des Flughafens eigentlich abgeschlossen war, kam es durch zahlreiche Pannen immer wieder zu Verzögerungen des Eröffnungstermins. In der Zwischenzeit lösten neue DIN-Normen die alten ab und die Einrichtung entsprach nicht mehr den aktuellen Sicherheitsanforderungen. Der Berliner Flughafen war also gezwungen, große Teile der Einrichtung zu ersetzen, und die Hersteller konnten ihre Produkte auf Kosten der Steuerzahler erneut verbauen. Falls Bobbycar-fahrende Kinder heute im Berliner Flughafen gegen ein bodentiefes Fenster fahren, tut der Kopf dafür aber nicht mehr so weh.
Das Geschäft mit den DIN-Normen zeigt, dass Unternehmen nicht nur Opfer staatlicher Bürokratie sind. Manche Unternehmen stehen ganz vorne in der Schlange des deutschen Selbstbedienungsladens und instrumentalisieren ihn, um sich einen unfairen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Kosten eines fehlenden oder zumindest eingeschränkten Konkurrenzmechanismus bezahlt der Bürger.
Das alles ist nicht erst seit gestern so. Vielmehr ist die deutsche Bürokratie über die Zeit gewachsen. 1918 wurde Deutschland eine Demokratie, der Kaiser dankte ab, aber die kaisertreue Bürokratie blieb. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden ebenfalls nur die Gesetzesbücher gewechselt, aber eine personelle Neuaufstellung gab es nicht. Politiker, Kabinette, ja ganze Staatsformen kamen und gingen, die Behörden blieben.
1891 sagte Georg Friedrich Knapp, der Rektor der Reichsuniversität Straßburg passend: „Unsere Beamten werden sich nicht mehr das Heft aus der Hand nehmen lassen, auch von parlamentarischen Mehrheiten nicht, die wir ja so meisterhaft zu behandeln wissen. Keine Herrschaft wird so leicht ertragen, ja so dankbar empfunden, wie die Herrschaft hochsinniger und hochgebildeter Beamten. Der deutsche Staat ist ein Beamtenstaat – hoffen wir, da[ss] er in diesem Sinne ein Beamtenstaat bleibe!“
130 Jahre später ist der deutsche Staat immer noch ein Beamtenstaat. Ermöglicht hat das vor allem die Top-Down-Mentalität und die deutsche Ordnungsliebe. Dabei bietet eine Abkehr vom Beamtenstaat viele Vorteile. Man muss sich nur bewusst machen, wie viele Ressourcen die Verwaltung an sich bindet. Neben der Vielzahl der direkt beim Staat angestellten Bürokraten beschäftigen Unternehmen unzählige Mitarbeiter in den Bereichen Steuern, Recht und Compliance, um der Regulierungswut deutscher Verwaltungsbehörden gerecht werden zu können. Dieser kaum zu überblickende Personenkreis, dem aber gewiss mehrere Millionen Menschen angehören, produziert nichts und bietet auch keine Dienstleistung an. Die Bürokratie trägt in keiner Weise zu wirtschaftlichem Wohlstand bei. Sie macht die Wirtschaft ineffizienter, ist ihr ein Klotz am Bein.
Aber was ist, wenn es keine Bürokratie mehr gäbe? Zunächst würden unzählige Ressourcen freigesetzt und die oft gut qualifizierten Bürokraten könnten sinnvollerer Arbeit nachgehen. Selbst, wenn sie auf Kosten des Steuerzahlers Golfen gehen würden, wäre das eine Verbesserung. Architekten würden dann ohne Kataloge von DIN-Normen Häuser entwerfen, Unternehmen würden ohne die Hürden der deutschen Verwaltung Güter und Dienstleistungen anbieten und Menschen würden Gartenzäune bauen, ohne vom Staat die Maße vorgeschrieben zu bekommen. Und nicht nur das: Einmal von den Fesseln deutscher Bürokratie befreit, würden sie es auch schneller, besser und günstiger tun. Bürokratie abschaffen heißt, einmal kräftig durchlüften. Wilhelminischer Untertanengeist, Kleinkariertheit und deutscher Regulierungswahn wären wie vom Winde verweht.
Klingt gut, aber warum wäre ein Leben ohne Bürokratie dennoch kein Ponyhof? Weil Freiheit bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Ich muss plötzlich selber entscheiden, welche Fenster ich einbaue, wie ich mein Geld ausgebe, ob ich mein Haus pink färbe, ob ich Gras rauche1 oder nicht. Wenn ich einen Fehler mache, bin nur ich verantwortlich, und wenn mein Unternehmen scheitert, gibt es keinen Bailout. Für viele erscheint Bürokratie daher bequem und angenehm – wie ein Ponyhof eben. Aber ein Ponyhof bildet genauso wenig das echte Leben ab, wie ein Beamtenstaat die Interessen der Bürger. Ein bürokratischer Ponyhof ist eher wie George Orwells Animal Farm, weil man dort auch nie wirklich frei ist. Wir täten also gut daran, wenn Politik und Bürokratie ihren Regulierungswahn in den Griff bekämen. Wer die Farbe seiner Dachziegel selber aussuchen kann, braucht Behörden und Verwaltung ohnehin nicht.
1Dass Deutschland plant, Gras zunächst nur in bestimmten Sonderzonen, mit Obergrenzen und in sogenannten „Cannabis Social Clubs“ zu legalisieren, ist symptomatisch für viele Dinge, die ich versucht habe, hier zu beschreiben.
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