Der vorliegende Beitrag ist das Vorwort von Dr. Karl-Friedrich Israel zu unserem kürzlich erschienen Booklet Inflation Verstehen. Das Booklet ist als kostenloser Download hier frei verfügbar.
Seit Einführung des Euros als Rechenwährung am 1. Januar 1999 ist die Geldmenge (M1) im Euroraum von etwa 1,8 Billionen € auf fast 11,5 Billionen € angestiegen (Stand November 2022). Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von ungefähr 8 %. Im klassischen Sinne wäre dies ein Maß für die Inflation des Euros. Im gleichen Zeitraum sind die Preise für Konsumgüter und Dienstleistungen jedoch nur um durchschnittlich 2 % pro Jahr gestiegen. Dies ist das gängige Inflationsmaß unserer Tage. Im langfristigen Durchschnitt wurde das offizielle Inflationsziel der Europäischen Zentralbank also erreicht. Ist das nicht eine beruhigende Nachricht? Keineswegs. Spätestens das turbulente vergangene Jahr hat dies eindrücklich gezeigt.
Im Jahr 2022 lag die offiziell gemessene Konsumentenpreisinflation im Euroraum deutlich über 8 %. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel prognostiziert auch für das laufende Kalenderjahr eine weiterhin hohe Konsumentenpreisinflation von 5,6 %, die damit nochmals deutlich über dem angestrebten Zielwert läge. In Zeiten wie diesen wird Inflation zum heiß diskutierten Thema, denn sie betrifft alle Geldnutzer unmittelbar. Gerade deshalb ist es wichtig den vielen Missverständnissen rund um das Thema Inflation Abhilfe zu verschaffen.
In Zeiten hoher Inflation keimen Gefühle der Resignation und Hoffnungslosigkeit auf. Man fühlt sich abgehängt, wenn die Arbeitseinkommen spürbar hinter der Preisinflation herhinken und die Lebenshaltungskosten relativ zum verfügbaren Einkommen steigen. Es wird deutlich, dass Inflation niemals alle Menschen der Gesellschaft gleichermaßen trifft. Sie bringt in der Regel viele Verlierer hervor, aber auch einige Gewinner. Das wird insbesondere beim Blick auf die Märkte für Anlagegüter deutlich.
Seit Jahrzehnten können wir überproportional hohe Vermögenspreisinflation zum Beispiel auf Immobilien- und Aktienmärkten beobachten. Auch Vermögenspreisinflation ist Inflation und wird maßgeblich von der Ausweitung der Geldmenge vorangetrieben. Sie tritt oft wellenartig in verschiedenen Regionen zu unterschiedlichen Zeiten auf. Aber sie liegt im Schnitt deutlich über der offiziell gemessenen Teuerungsrate für Konsumentenpreise.
In Frankreich haben sich zum Beispiel die Immobilienpreise in nur 8 Jahren zwischen der Einführung des Euros und dem Ausbruch der großen Rezession im Jahr 2007 mehr als verdoppelt. In Deutschland sind die Immobilienpreise in der gleichen Zeit zunächst konstant geblieben. Zwischen 2010 und 2021 haben sich aber auch hierzulande in den 127 größten Städten die Immobilienpreise im Schnitt mehr als verdoppelt. Noch vor weniger als zwei Jahren wurden Inflationswarner belächelt. Man fragte sie, wo denn die Inflation sei? Ein Blick auf die Immobilienmärkte hätte einen Teil der Antwort geliefert.
Es ist für jeden leicht erkennbar, dass diese Form der Preisinflation mit ganz erheblichen Verteilungseffekten einhergeht. Ist man bereits im Besitz von Immobilien, profitiert man von der überproportionalen Preissteigerung. Dem potenziellen Käufer ohne bestehenden Immobilienbesitz wird der Schritt in die eigenen vier Wände allerdings erschwert.
Diese Art der Umverteilung durch Inflation ist keineswegs ein Sonderfall. Sie ist ein allgemeines Phänomen des Inflationsprozesses und nur eine von zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Inflation. Um diese tiefgreifenden Mechanismen besser zu verstehen, ist eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema unersetzlich. Vincent Czyrnik und Max Molden von Der Freydenker leisten mit dem vorliegenden Text einen wichtigen Beitrag zur Verständnisschärfung. Sie erklären den Lesern in klarer Sprache, was Inflation ist, woher sie kommt und welche Effekte sie haben kann. Die Lektüre sei auch jenen wärmstens empfohlen, die bereits glauben Inflation zu verstehen. Es lohnt sich.