Meine Eltern lesen seit gefühlten Hundert Jahren bereits den „Stern“ und so komme auch ich immer wieder am Sonntag, bei meinen wöchentlichen Besuchen, in den Lesegenuss des sogenannten „Reportermagazins“. Seit Oktober 2019 schreiben dort vier Kolumnisten zum Thema Nachhaltigkeit. Es handelt sich dabei um Richard David Precht, Harald Welzer, Luisa Neubauer und die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Na, merken sie schon was? Richtig, eine kontroverse Debatte ist bei diesen Namen nicht zu vermuten. Sie sind sich in ihren wesentlichen ideologischen Elementen alle einig. Muss das so sein?
Für alle Autoren steht schon die inhaltliche Agenda fest: Das Klima ist natürlich Dauerbrenner Nummer eins, direkt gefolgt von der Ressourcenknappheit und dem Artensterben, worauf ein bisschen Schimpferei auf den arroganten Westen nicht fehlen darf, garniert mit etwas elitärer humanistischer Bildungshintergrundpalaverei. Bei Neubauer darf natürlich das jugendliche Aktivistensprech nicht fehlen, soll heißen, das Unterstreichen der eigenen Thesen mit aktivistischen Dauerphrasen wie: „Gehen wir es an!“, „Tun wir es jetzt!“, „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, „Wir müssen endlich vom Denken zum Handeln kommen!“. Harald Welzer und Richard David Precht sind engagiert worden, um den ganzen Appellen und Aufrufen zum „Aufstehen“ und „Rückgrat zeigen“, die philosophische Grundierung zu geben und um uns sauber und mustergültig herzuleiten, warum seit Aristoteles das Wesen der westlichen Philosophie in dem Schutz der Natur und der natürlichen Ressourcen bestanden habe, warum wir dieses Wissen nur wieder hervorzuholen und anzuwenden hätten und dass wir endlich mutig sein sollen, nicht nur im Handeln, sondern auch im Denken. Denken wir doch mal anders, heißt es dann dort. Was ich da alles machen muss. Ich soll ganz anders handeln und ganz anders denken? Alles gleichzeitig? Ist mir zu anstrengend. Wenn die vier Heiligen Reiter der Nachhaltigkeit eine ganze Kolumne zur Verfügung haben, können die dann nicht mal für mich anders denken? Und auch anders handeln, als ihre 498 Kollegen, die auch die immer gleichen Phrasen vom Berge der ökologischen Miesepeterreligion herunterschreiben? Wofür bezahl ich die denn sonst eigentlich?
In Deutschland dafür, mir zu sagen, wie ich zu denken und zu fühlen habe. Welche Leute ich gerade doof zu finden habe, Joe Kaeser zum Beispiel ist gerade doof und unbeliebt, während Rezo gerade cool und angesagt ist, und was ich zu mögen, zu befürworten und mir für die Zukunft zu wünschen habe. Aijeijei, was hat doch das Preußentum bis heute für garstige Wurzeln geschlagen! Der Untertanengeist ist immer noch da, im Lande der Dichter und Blender, der öffentlichen Gesichter und Ideologieverschenker. Nur will man selbst natürlich nicht mehr Untertan sein, es sind die anderen, die sich den eigenen Ideen zu fügen haben.
Dabei wäre es so einfach gewesen, liebe Stern-Chefredaktion, mal ein wenig Farbe in die deutsche Kolumnisterei zu bringen. Ihr hättet gar nicht viel wagen müssen. Wie wäre es denn mit einem wie Hans Werner Sinn gewesen, zum Beispiel, weder Klimaleugner noch Gegner von erneuerbaren Energien, der mit seinem neuen Buch und klugen Vorträgen gerade durch das Land tourt und eben jene von den vier Autoren gepredigten Weisheiten der Entsagung und Abstellung fossiler Konsumträume als ökonomischen Unsinn brandmarkt. Oder wie wäre es mit Ralf Fücks gewesen, lange Jahre Vorsitzender der Böll-Stiftung und Grüner der ersten Stunde? Auch er ein Kritiker der Welzerschen Untergangsapologetik und der Ablehnung westlicher Werte. Da hätte man gemerkt: Auch bei den Grünen sind sich nicht alle grün. Aber das will man in Deutschland nicht lesen. Kontrovers heißt ärgerlich, heißt fehlerhaft. In Deutschland heißt Widerspruch Untertanenverweigerung und das stört die harmonische Fahnentracht. In Deutschland ist ein Intellektueller entweder ein verachtenswerter Außenseiter oder ein heiliger Alleswisser.
Niemals darf man öffentlich einen Diskurs mit offenem Ausgang führen, zugeben, dass man etwas nicht wusste oder sogar, man halte es für möglich, noch etwas dazugelernt habe. Streit um das beste Argument gilt hierzulande als aggressiv und friedensfeindlich. Fremde Meinungen müssen erst durch die Prüfung bisher akzeptierter Glaubenssätze hindurch. Haben sie die nicht bestanden, gibt es sie für die Deutschen einfach nicht. Solange ein Precht, ein Welzer oder ein Rezo ein Buch oder eine Idee nicht heilig gesprochen haben, darf sie oder es nicht zum einfachen Volk durchdringen. Wer weiß, was die damit anstellen?
Für echte Diskurse gibt es in Deutschland nur in unbedeutenden Nischen Randplätze oder man muss ins deutschsprachige Ausland flüchten. Einer dieser wenigen Nischen sehen Sie Hier. Unter dem angegebenen Link gibt es einen Dialog zwischen Ralf Fücks und Harald Welzer zu sehen, während einer Veranstaltung der Böll-Stiftung und das schon im Jahr 2013! Schon damals war klar, wie radikal das Modell von Welzer sein würde, wenn es sich durchsetzte und welche naiven Annahmen und Denkfehler ihm zugrundeliegen. Sechs Jahre vor Greta und dem Luisa-Hype. Ein besonders schönes Beispiel für die Verbohrtheit dieses Denkens ist die Idee, dass Technik von Natur aus böse ist und den Menschen von seinen wahren Bedürfnissen entfremdet. Fücks zeigt wunderbar auf, wie dieser Mythos sich bis zur Büchse-der-Pandora-Sage bei den alten Griechen zurückverfolgen lässt und daher mythischen, später, wie bei Goethe im Zauberlehrling, romantischen Ursprungs ist. Aber dieser Clip hat eben nur 14.000 Klicks auf Youtube. Rezo hat mit seiner Zerstörung der CDU über 16 Millionen Aufrufe geschafft. Sachdialog gegen Populismus hat es eben schwer. Aber Populismus gibt’s ja nur bei den ganz Rechten, hatte ich vergessen.
Auch vergebens sucht man im deutschen Fernsehen Konzepte wie den philosophischen Stammtisch des Schweizer Fernsehens. Dort wurde im November letzten Jahres eine geniale Folge abgedreht, in der zur Nachhaltigkeitsfrage Denker wie der Wachstumskritiker Niko Paech und die schweizer Version von Carola Rakete, Alexandra Gavilano von Extinction Rebellion, aber auch klassische Ökonomen wie Reiner Eichenberger eingeladen wurden, der sogar sagen darf, dass das Klimaproblem eines von vielen Weltproblemen der Menschheit ist und aktuell noch nicht einmal das dringlichste zu sein scheint. Wenn man es ökonomisch quantifiziere, betrügen die Klimakosten für die USA bspw. nur 500 Milliarden Dollar im Jahr. Gemessen am US-amerikanischen BIP von über 20 Billionen Dollar sei das zu stemmen und im Vergleich zu den Kosten von Hunger und Krankheit viel geringer als durch die Massenmedien vermutet. Man vermisst hierzulande auch eine liberale Philosophin wie Katja Gentinetta, die ungestraft im Schweizer Fernsehen mit der Aussage davonkommt, dass das Streben nach mehr Annehmlichkeiten und besseren Umständen dem Menschen angeboren sei und daher nicht ideologisch verändert werden könne.
Hier gibt es noch echte Gegenpositionen, wo es in Deutschland nur noch Einheitsbrei gibt. Die Aufklärung schreibt uns den Diskurs vor. Wir müssen streiten, sonst verwahrlosen wir intellektuell. Das, was sich in Deutschland als Intelligenzia tarnt, ist peinlich, verschroben, in ihren Zirkeln eingekesselt und geistig höchst kurzsichtig. Wir bräuchten unter diesen Langweilern einen Sturm, der das Wasserglas wieder einmal in Bewegung bringt. Wir bräuchten einen Nietzsche, der mit dem Hammer philosophiert und mit der Peitsche zu seinen philosophischen Kollegen ins Bett geht. Aber bis dahin warte ich darauf, wie bei Hart aber Fair über Joe Kaeser gerichtet wird. Bis Neulich!
Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog des Autors: Philosophische Auszeit.
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