Meinungsfreiheit in der Zwickmühle

von Robert Schoder

Seit ihrem Aufkommen stehen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter in der Kritik. Anfangs waren sie besonders Diktaturen ein Dorn im Auge und wurden dort eingedämmt. Im „freien Westen“ hatten soziale Netzwerke im politischen Diskurs lange Zeit auch ein positives Image. Soziale Netzwerke gewannen Anerkennung durch ihr demokratisches und emanzipatorisches Element, jeden zum potentiellen Mediengestalter zu machen. Entwicklungen wie die Organisation des Arabischen Frühlings über Facebook und Co. stärkten dieses Image. Seit 2015 vollzieht sich aber ein starker Wandel in der Betrachtung sozialer Netzwerke und ihrem Beitrag zur Debatte. Während Anonymität und Verwahrlosung der Sitten bis 2015 vor allem konservative Kommentatoren auf den Plan riefen, kommt nun stärkerer Gegenwind von Mitte-Links bis Linksextrem.
Die Ursachen hierfür spiegeln sich in den Deutschland mit den Entwicklungen in den USA und anderen westlichen Gesellschaften. In den Jahren 2015 und 2016 erreichte der „Haltungs-Journalismus“ seinen Zenit. In den USA ebnete die Ablehnung Trumps die Unterschiede zwischen den großen und kleinen Medienkonzernen weitestgehend ein. In Deutschland harmonisierte sich die vorher breit gefächerte Medienlandschaft im Zuge der Flüchtlingskrise hin zu einer weitgehenden Unterstützung der Regierungspolitik, sowie einem Gleichklang in gesellschaftspolitischen Fragen. So fällt es seither schwer, Spiegel, Zeit, Welt, Süddeutsche und FAZ voneinander zu unterscheiden. Im Zuge dieser Entwicklung entfällt neben der redaktionellen Vielfalt zunehmend etwas Weiteres weg: die Kommentarfunktion unter vielen Online-Artikeln.
Damit war die dekonstruktive Linke einem ihrer bedeutendsten Ziele näher gekommen, ungeliebten Meinungen die „Plattformen zu nehmen“, während von Regierungsseite die Hofberichterstattung wohl nur zu willkommen ist. Da die gute professionelle Presse  durch die Bank „progressiv“ war, die Abstimmungsergebnisse bei Brexit und Trump aber schlecht blieben, war der Sündenbock schnell gefunden. Facebook, Twitter und Co. gerieten als Orte gefährlicher „Hatespeech“ in die Kritik. Hier wurde weiterhin kommentiert, ausgetauscht und polarisiert. Außerdem wurde die Debatte verstärkt um den Begriff „Fake News“ bereichert. Das dumme Wahlvolk informierte sich demnach nicht nur falsch, sondern wurde noch dazu hinters Licht geführt. Verantwortlich dafür: die Meinungsfreiheit auf sozialen Netzwerken. Was die anderen sagen und schreiben, ist seit dem nicht nur tendenziell gefährlich, sondern im Zweifel auch falsch.
Heiko Maas, in seiner Funktion als Justizminister, erkannte das früh und mit ihm machte sich der deutsche Gesetzgeber daran hier Abhilfe zu schaffen.
Er goss, taub für den Protest von Verfassungsrechtlern und liberalen Kommentatoren, das nach DDR klingende „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Die Haftung für potentiell kriminelle Äußerungen ging nun von deren Erstellern zusätzlich zu den Plattformen auf denen sie geteilt werden über. „Wer strafbare Inhalte im Netz verbreitet, muss von der Justiz konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. […] #Facebook, #Twitter und Co. sollten kein Interesse daran haben, dass ihre Plattformen für Straftaten missbraucht werden. Soziale Netzwerke müssen sich wie jeder andere auch an unser Recht halten.“ So Maas 2018 nach dem Inkrafttreten des Gesetzes.
Dabei gab es schon vorher ein Beschwerdesystem, das strafbare Inhalte löschte (Facebook 84%, YouTube 96%) und der Rechtsweg war auch immer offen. Doch handelten die Behörden nicht entschieden gegen illegale Beiträge. Das wäre teuer gewesen und mit den nun verhängbaren Strafen lässt sich viel mehr erreichen. Die Kollateralschäden sind dabei wohl mehr Ziel als einkalkuliertes Nebenprodukt. Jetzt wird lieber mehr als weniger gelöscht, sehen sich die Betreiber sozialer Plattformen doch mit potentiellen Strafen von bis zu 50 Millionen konfrontiert –  bezeichnend, dass das NetzDG noch zu keinem einzigen Bußgeld führte.

„Meme-Ban“ – NetzDG 2.0?

Surft man aktuell im Internet erscheint ab und an ein Pop-up mit Hinweisen wie: „Artikel 13 hat das Potential diese Seite sehr zu verändern, informiere dich hier“. Die EU macht sich nämlich zurzeit daran, unter dem Deckmantel des Copyrights, in dieselbe Kerbe zu schlagen. “Anbieter und Rechteinhaber von Online-Content-Sharing-Diensten arbeiten in gutem Glauben zusammen, um sicherzustellen, dass nicht autorisierte, geschützte Werke oder andere Inhalte in ihren Diensten nicht verfügbar sind.” Was sich harmlos liest, ist eine entschärfte und vom EU-Parlament abgestimmte Passage einer grundlegenden Reform des EU-Urheberrechts. Dieser Reform wird unter anderem die Macht zugeschrieben, den größten Stachel aus den Augen der Freunde von Political Correctness, Grabesruhe und Frieden zu ziehen: Memes. Im Kommissionsvorschlag war dezidiert von Uploadfiltern die Rede, “Technologien zur Erkennung von Inhalten”, die bereits vor der Veröffentlichung Content prüfen und bei Rechtsverstößen/ Unsicherheiten löschen. Für aus Filmen, Popkulturelementen und Gemälden erstellte Karikaturen, wären solche Filter, verbunden mit ähnlich hohen Strafen wie beim NetzDG, der Todesstoß. Nach der Entschärfung ist es den Nationalstaaten überlassen, ob sie diese einführen.

Aushöhlung von Rule of Law und Zwickmühlen für Netzwerke

NetzDG und Artikel 13 haben drei entscheidende Gemeinsamkeiten: 1. Sie verschieben die Verantwortlichkeit von Contenterstellern und dem regulären Rechtsweg primär auf die Sozialen Netzwerke. 2. In beiden Fällen wird die Meinungsfreiheit massiv tangiert. Beim NetzDG offensichtlicher, bei der EU Verordnung subtiler. 3. Schaffen sie Rechtsunsicherheiten für Betreiber.
Meinungsfreiheit steht damit zunehmend nicht mehr vor Gerichten zur Diskussion, sondern wird durch den Gesetzgeber indirekt über Zensursysteme privater Firmen eingeschränkt, welche unter dem Druck hoher Strafen dazu gehalten sind, praktisch mehr zu löschen als gesetzlich nötig. Bürger, die Teil einer Debatte sein wollen, müssen sich nun einmal mehr überlegen, was sie wie posten, um nicht ins Raster von Löschaktionen zu fallen. Das stellt einen großen Schaden für die Debattenkultur dar.
Auch die Position der Anbieter ist bemitleidenswert, da sie bei beiden Gesetzesvorhaben gegensätzlichen Ansprüchen gerecht werden müssen. Um dem NetzDG gerecht zu werden und  möglichst unproblematisch löschen zu können, verschärfte beispielsweise Facebook seine Community-Standards. Hassrede sei nun unerwünscht. Dabei wird die Definition so willkürlich ausgeweitet, um sich rechtlich abzusichern, dass man zum Beispiel die migrationskritische „Gemeinsame Erklärung 2018“ gleich mitlöschte. Dieser breiten Auslegung des Begriffs der Hassrede widersprach das Landgericht Bamberg am 18. Oktober (Aktenzeichen 2 O 248/18): Auf Grund seiner „Quasi-Monopolstellung“, muss Facebook die Erklärung, „als Meinung im Sinne des Art. 5 GG“ auf seinem Netzwerk zulassen. Rein unter dem Kostenaspekt bleibt für Facebook jetzt immer abzuwägen, was teurer sein wird: Anklagen nach NetzDG oder die Prozesskosten mit Menschen, die sich zu Unrecht als gelöscht empfinden.
Einen ähnlich gearteten Fallstrick hält auch Artikel 13 für Netzwerke bereit. Nachdem der erste Entwurf als gefährdend für die Kunst- und Meinungsfreiheit kritisiert wurde, implementierte man noch: “Dabei sind insbesondere die Grundrechte, die Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen sowie die Gewährleistung einer angemessenen Belastung der KMU zu berücksichtigen und eine automatisierte Sperrung von Inhalten zu vermeiden.” Als Martin Sonneborn und die Partei mit dem Spruch „Ja zu Europa, nein zu Europa“, Wahlkampf machten, konnte der ein oder andere schmunzeln. Dass jetzt die EU selbst solche diametralen Gegensätze in ein Gesetz fasst, lässt nur noch Zyniker lachen.
Die erzwungene Selbstzensur, wie sie durch NetzDG, DSGVO und die EU-Urheberrechtsreform, insbesondere Art. 13, in Gang gesetzt wird, stellt in ihrer Breite den massivsten Angriff auf die Meinungsfreiheit in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dar. Geöffnet wird die Büchse der Pandora bei der am Ende alle verlieren: Staat und EU büßen Glaubwürdigkeit ein, Betreiber sozialer Netzwerke sind in der Zwickmühle gegenläufiger Bestrafungssysteme gefangen, und jeder Einzelne von uns, ganz gleich was und wie er (nicht) postet, ist von dieser diskurseingrenzenden Tendenz getroffen.

Dieser Artikel spiegelt die Meinung des Autors, nicht der Organisation wieder. Dieser Blog bietet die Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Mehr zur Organisation auf www.studentsforliberty.de

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