Dieser Artikel enstand im Rahmen der Schreibwerkstatt des Austrian Institute und erschien auch auf dessen Blog. Der Autor dankt Martin Rhonheimer und Stefan Beig für die Anmerkungen und Unterstüzung.
Der politische Diskurs leidet unter einem ungenauen, teils irreführenden Sprachgebrauch. Je nach politischem Kalkül werden positiv oder negativ konnotierte Begriffe verwendet, die oft die problematischen Aspekte einer Maßnahme verschleiern. Deshalb würde gerade eine präzise Sprache beim Finden guter politischer Lösungen helfen.
Oft verwendet die Politik für ein und dieselbe Sache unterschiedliche Begriffe, je nach dem, was gerade passt. Ein gutes Beispiel ist die deutsche Bundesregierung: Sie hat zu Recht US-Präsident Trump für seinen Protektionismus kritisiert und sich für den Freihandel stark gemacht. Doch die gleiche Regierung verteidigt eine „moderne Industriepolitik“ und „technologische Souveränität“, was zwar attraktiver klingt als „Protektionismus“ und „Abschottung“, nur leider auf dasselbe hinausläuft. Denn auch hier soll der Staat in den Marktprozess eingreifen, um besonders wichtige Sektoren und Unternehmen vor der Konkurrenz im Ausland zu schützen. Der Gebrauch dieser schön klingenden Wörter ist daher – bewusst? – irreführend.
Andere Begriffe des politischen Diskurses unterschlagen näher besehen die wahren Problemstellungen. Die Förderung von „Schlüsseltechnologien“ klingt einleuchtend. Und ebenso dürfte es kaum Gründe geben, „Leitmärkte mit Zukunftspotential“ oder „Leuchtturmprojekte“ nicht zu fördern. Doch in Wahrheit täuscht man hier – unausgesprochen – ein Wissen vor, von dem man gar nicht erklärt, wie man es überhaupt erlangt hat. Wer von der Förderung von Schlüsseltechnologien spricht, nimmt implizit an, er wisse welche Technologien das sind. Dasselbe geschieht bei Rufen nach der Förderung von Leitmärkten mit Zukunftspotential, oder beim Gerede von zukunftsträchtigen Subventionen. Glorreiche Experimente der Vergangenheit, wie z.B. die Subventionen für die Solarindustrie, lassen zumindest leichte Zweifel aufkommen, ob die Regierungsvertreter und ihre Experten dieses Wissen tatsächlich besitzen.
Auf solche Tricks stößt man sogar in der Wissenschaft. So gilt als eines der letzten seriösen Argumente für Protektionismus das „Infant Industries“-Argument; dieses befürwortet den Schutz noch schwach entwickelter Industriezweige, die an sich sehr erfolgreich sein würden, aber, da sie noch in den „Kinderschuhen“ stecken, aufgrund von bereits etablierter Konkurrenz im Ausland nicht Fuß fassen könnten – es sei denn, der Staat greift schützend ein. Zwar gibt es durchaus Länder, die solche Politiken durchgeführt haben und eine positive Entwicklung durchlebten, wie die USA, Taiwan oder Südkorea. Jedoch ist fraglich, ob deren Aufschwung nicht gerade trotz der Industriepolitik möglich war.
Der sprachliche Trick bei dem „Infant Industries“-Argument ist die Vorwegnahme der Beantwortung der Frage, welche Industrie denn überhaupt ein „Infant“ ist. Argumentiert man für den Schutz von „Kinderindustrien“, dann macht man durch einen sprachlichen Kniff glauben, man wisse genau welche Industrie in einem bestimmten Land zukunftsträchtig ist und welche nicht. Dies wird aber, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen zutreffen.
Diese Begriffe sind allesamt ungenau – vorausgesetzt man unterstellt ihren Verwendern gute Absichten; wer jedoch an gute Absichten nicht glauben mag, wird sie für bewusste Irreführung halten.
Die fundamentale Frage bei all diesen staatlichen Maßnahmen ist: Wissen die Politiker, was sie tun müssen und auf welche Weise es zu tun ist? Sie müssten ja vorhersagen können, welche Technologien Schlüsseltechnologien sein werden und wo die Leitmärkte von morgen zu finden sind. Selbst wenn sie es wüssten, müssten sie das Wissen besitzen, diese Technologien oder „Infant Industries“ effektiv zu schützen und zu nützen. Genau diese Probleme werden durch sprachliche Tricksereien wegdefiniert.
Durch unpräzise Sprache verschleiert die Politik einerseits, worauf ihre Maßnahmen tatsächlich abzielen, und andererseits, welche Probleme bei diesen Maßnahmen bestehen. Vor allem für den politischen Diskurs ist das Vorgaukeln von Wissen ein großes Problem. Es drängt Kritiker sofort in eine Defensivposition, denn wer ist schon gegen das Verbessern der Welt? So erschwert man eine sachliche und nüchterne Analyse der vorgeschlagenen staatlichen Eingriffe. Allzu leicht führen Gegenpositionen dann zu einer Polarisierung.
Um das zu verhindern, sollten wir einen fairen, neutralen Sprachgebrauch anstreben. Langfristig profitieren alle von einer Sprache, die nicht die Sicht auf die Fakten und Probleme unserer Politik verstellt.
Freilich: Der Eingriff des Staates in den Marktprozess ist en vogue. Zentralbanken versuchen Preiswertstabilität zu erreichen und die Konjunktur zu glätten. Regierungen wollen Monopole verhindern, Industrien und einzelne Unternehmen schützen, und greifen sogar in den Preismechanismus ein – siehe Mietendeckel. Der Diskurs über diese staatlichen Maßnahmen ist näher besehen ein Lehrbeispiel für die Macht der Sprache.