Veganen Verbrauchern mangelt es an Leseverständnis – die EU soll ihnen jetzt helfen. Mit ganz viel neuer Regulierung!
In diesem Jahr entschied ich mich, zum ersten Mal während der Fastenzeit gänzlich auf Fleisch zu verzichten. Am Anfang war ich unsicher, denn als Südamerikaner haben alle Gerichte, die ich (halbwegs) vorbereiten kann, bisher immer Fleisch enthalten. Aber nach zwei Tagen auf happycow.net und happyveggie.com gewann ich die Zuversicht, die vierzig Tage überstehen zu können. Und als ich zum Supermarkt ging, war ich überwältigt – die Anzahl an vegetarischen und veganischen Produkte ist enorm! Diese Auswahl motivierte mich, nicht nur auf Fleisch zu verzichten, sondern sogar auf weitere tierische Produkte.
Die wachsende Auswahl an pflanzenbasierten Produkten spiegelt sich in dem marktwirtschaftlichen Prozess wider. Für das Jahr 2026 könnte der Branchenumsatz auf rund 2,6 Milliarden US-Dollar steigen – allein in der Europäischen Union. Sogar der Wursthersteller Rügenwalder Mühle gab letztes Jahr bekannt, dass das Unternehmen mittlerweile mehr Umsatz mit Fleischersatz als mit ‚normaler‘ Wurst generiert.
Konsumenten sind umweltbewusster geworden, Entrepreneure haben auf die veränderte Nachfrage reagiert und durch Innovation eine breite Palette an Alternativen auf dem Markt gebracht. Eine positive Entwicklung, die aus den Individuen selbst hervorgegangen ist – ohne die Notwendigkeit einer Obrigkeit. Eben deswegen wundert das Vorgehen der EU, die im Oktober letzten Jahres die Änderungsanträge 171 und 165 zu der EU-Verordnung Nr. 1308/2013 im EU-Parlament diskutierte. Diese Änderungen werden direkt in den freien und fairen Wettbewerb eingreifen.
Die Verwendung von Begriffen wie „Sojamilch“ oder „veganer Käse“ sind bereits verboten und im EU-Recht festgelegt (das bestätigte der Europäischen Gerichtshof in 2017). Milch, Joghurt, Butter und Käse dürfen nur aus der Milch von Tieren stammen – das sieht auch die aktuelle Verordnung vor. Nichtdestotrotz sucht der Änderungsantrag 171 diese Beschränkungen zu erweitern (den Änderungsantrag findet ihr rechts abgebildet). Denn der zugestimmte Änderungsantrag schränkt die Benennung und Beschriftung von Milchalternativen ein. Alleine die Beschriftungen „milchfreie Alternative“, „enthält keine Milch“, „Milchersatz“ oder sogar „laktosefreie Alternative zu Kuhmilch“ könnten durchaus unzulässig sein, denn der Verweis auf Milchprodukte soll eingeschränkt werden. So skurril wie es scheint, aber wenn man den Antrag streng interpretiert, dürften Milchalternativen sogar nicht Verpackungen verwenden, die denen der tierische Produkte ähneln. Hierbei handelt es sich ganz eindeutig um Überregulierungen – die Kosten, die dadurch entstehen können (Umbenennung, Re-Branding und Wiedervermarkung der Produkte), haben nichts mit dem marktwirtschaftlichen Prozess und den Wünschen der Konsumenten zu tun, sondern sie entstehen dank der Willkür von Bürokraten und Lobbyisten. Das sind alles zusätzliche Kosten, die die Anbieter von Milchalternativen benachteiligen und den fairen Wettbewerb verzerren. Aber warum willkürlich? Während dem Änderungsantrag 171 zugestimmt wurde, lehnten die EU-Abgeordneten den Antrag 165, der sehr ähnliche Vorschriften für Fleischersatzprodukte vorsah – Veggie-Würste dürfen (vorerst) sich weiter so nennen (Veggie-Käse darf aber nicht ins Supermarktregal).
Diese Änderungen haben jedoch nicht nur einen Einfluss auf die Produzenten von Milchalternativen, sondern auch auf die Konsumenten. Denn die Bürokraten in Brüssel verteidigen diese Änderungen mit dem Argument, dass die bisherigen Vorschiften für die Konsumenten irreführend sind. Obwohl Beschreibungen wie „veganer Jogurt“ bereits verboten sind, ist man in Brüssel der Meinung, dass „enthält keine Milch“ auch nicht klar genug für den Verbraucher ist. Ob es am Leseverstehen im Brüssel mangelt oder ob die wirklich glauben, Konsumenten seien zu doof, um Produkte zu unterscheiden – diese zusätzlichen Regulierungen sind ein weiterer Schritt in der Bevormundung der Bürger.
Georg Strasser, Präsident der österreichische Bauernbund, ist der Meinung, dass Namen wie Sojamilch oder Hafermilch „nicht nur eine blanke Täuschung der Konsumenten“ sind, sondern dass dies gar die „die ursprüngliche Form der Milchproduktion“ gefährdet. „Darf nun auch ein Sojadrink oder Haferschleim als Milch bezeichnet werden, so gefährdet das nicht nur die Existenz heimischer Bäuerinnen und Bauern, sondern auch die Glaubhaftigkeit dessen, was auf der Milchpackung steht.“ Ob die Konsumenten das wirklich auch so sehen, ist fragwürdig. Die Verbraucherzentrale Bundesverband fand in 2017 heraus, dass nur vier Prozent der Befragten aus Versehen ein vegetarisches Produkt statt seines tierischen Äquivalents gekauft hatten. Lediglich 38 Prozent waren der Meinung, dass es sinnvoll wäre, vegetarische (und veganische) Produkte mit „ganz neuen Namen zu kennzeichnen, die keinen Bezug zum Produkt mit tierischen Bestandteilen haben“. In einer weiteren Studie der European Consumer Organisation sehen fast 70 Prozent der Befragten aus zehn verschiedenen EU-Länder kein Problem mit Bezeichnungen wie „Steak“ oder „Burger“ auf pflanzlichen Alternativen. Dank des Lebensmittelunternehmens Oatly kannst Du durch einen witzigen Test auch probieren, ob Du zwischen Milchprodukten und Milchalternativen unterscheiden kannst.
Um die Sache noch unübersichtlicher zu machen, gelten diese Vorschiften nicht für „Erzeugnisse, deren Art aufgrund ihrer traditionellen Verwendung genau bekannt ist, und/oder wenn die Bezeichnungen eindeutig zur Beschreibung einer charakteristischen Eigenschaft des Erzeugnisses verwandt werden.“ Diese Ausnahme entspricht auch der Position von Jean-Pierre Fleury, Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Rindfleisch“. Für ihn sind die Bezeichnung von Fleischersatzprodukten mit „Steak“ oder „Wurst“ ein „Fall des Kaperns kultureller Errungenschaften.“ Somit darf zum Beispiel Kokosmilch weiter als solche beschriftet werden, denn diese ist traditionell so genannt worden. Was aber genau unter „traditionelle Verwendung” fällt und was nicht, ist scheinbar wieder von den EU-Bürokraten willkürlich entschieden worden. Die Massenproduktion von vielen Milchersatzprodukten darf relativ jung sein, nicht jedoch die Produkte an sich, wie zum Beispiel Hafermilch oder Sojamilch.
Die EU sollte aufhören, Innovation Hürden in den Weg zu legen. In einer Welt, in der bald Fleisch aus dem Labor kommt und sogar Milch aus dem Reagenzglas, sind Überregulierungen teuer und kontraproduktiv. Die immer wachsende Bevormundung des Bürgers sollte endlich ein Ende finden. Individuen sind in der Lage, alltägliche Kaufentscheidungen zu tätigen, ohne den Nanny State zu brauchen. Vielleicht sollte die EU auf die jährlichen Subventionen in Höhe von über 65 Milliarden US-Dollar verzichten und die Entscheidung, welche Lebensmittel sich durchsetzen, zurück zu den Konsumenten geben – wobei das ein Thema für eine weitere Diskussion ist. Währenddessen gehe ich zum Supermarkt, denn ich brauche wieder veganen Käse und jetzt, da das Wetter wieder gut ist, gönne ich mir doch ein Paar Veggie-Steaks dazu.