Für den internationalen Zahlungsverkehr bietet das Bitcoin-Netzwerk ein enormes Potenzial. El Salvador versucht, dieses zu nutzen. Doch findet die in der Theorie gute Idee in der Praxis nur wenig Anwendung. Woran liegt das und muss das immer so bleiben?
Aus einer kleinen Blechhütte heraus grinst freundlich ein Mann. Hinter ihm sind Regale zu erkennen mit handelsüblichen Waren: Alkohol, Süßigkeiten und Zeitungen. Neben der Eiswerbung an der Front des Geschäfts befinden sich mehrere Fotos, vermutlich von der Familie des freundlichen Mannes. Darüber leuchtet ein Sticker in grellem Orange: „Bitcoin accepted here“.
Im September 2021 führte der mittelamerikanische Kleinstaat El Salvador Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel ein. Fast alles, vom Eis in der kleinen Blechhütte über die Steuern an den Staat bis hin zum Haus im idyllischen El Zonte, kann man mit Bitcoin bezahlen. Bei den Bitcoin-Romantikern sorgte die Einführung für Euphorie: Sie sehen einen wichtigen Schritt weg vom inflationären Fiat-System, hin zu einem transparenten und dezentralen Geldsystem. Kritiker der Einführung besonders in internationalen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sind hingegen besorgt: die hochvolatile Währung Bitcoin gefährde die finanzielle Stabilität des Landes.
Die Kritik des IWF ist nicht unberechtigt. Bitcoin ist circa zehnmal volatiler als der US-Dollar oder Euro. Man stelle sich nur vor, der freundliche Mann mit seinem kleinen Blechhütten-Geschäft verkauft einen Tag lang Eis in Bitcoin, die dann aufgrund von Kursschwankungen 20 Prozent weniger wert sind. Der Mann, der vermutlich an der Armutsgrenze lebt, rutscht durch die Kursverluste unter diese Grenze und kann sich Lebensmittel für seine Familie nicht mehr leisten. Um diesem Problem zu entgegnen, hat die salvadorianische Regierung eine App namens Chivo eingeführt. Chivo ermöglicht es, schnell und kostenlos mit Bitcoin zu bezahlen, und ebenso schnell Bitcoin in US-Dollar in der App umzutauschen. Dadurch können Salvadorianer, wenn sie möchten, mit dem US-Dollar in einer weniger volatilen Währung sparen.
Doch wozu wollen die Salvadorianer Bitcoin neben dem US-Dollar verwenden, wenn sie doch alles beim Alten belassen und allein mit US-Dollar das Eis, die Steuern oder das Eigenheim bezahlen könnten? Bitcoin hat gegenüber dem US-Dollar zwei Vorteile. Erstens ist das digitale Bezahlen mit Bitcoin deutlich günstiger als mit Kreditkarten. Würde man das Eis aus der Blechhütte mit der Kreditkarte bezahlen, fallen gut und gerne drei Prozent Gebühren an – ganz abgesehen von den Kosten für den Ladenbesitzer, ein Lesegerät für Kreditkarten einzurichten. Durch das Bezahlen mit Bitcoin kann genutzt werden, was 65 Prozent der Salvadorianer ohnehin schon haben: ein Smartphone. Sie können mit ihrem Handy kostenlos Chivo (oder eine andere Bitcoin-Wallet) herunterladen und in Sekundenschnelle ihre Bitcoin an den Ladenbesitzer senden. Selbstverständlich können die Salvadorianer weiterhin mit Bargeld bezahlen. Doch diejenigen, die die Vorteile des digitalen Bezahlens nutzen möchten, bekommen durch Bitcoin eine einfache, sichere und anonyme Möglichkeit dazu geboten.
Der zweite Vorteil Bitcoins besteht in seiner Verwendung für Auslandsüberweisungen. 20(!) Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts El Salvadors setzt sich aus diesen Überweisungen zusammen. Viele Salvadorianer wandern für kurz oder lang in die USA aus, arbeiten dort für gutes Geld und versorgen ihre Familien daheim. Da aber 70 Prozent der Salvadorianer kein Bankkonto besitzen, ist es teuer und umständlich, Geld aus dem Ausland nach daheim zu senden. Vor Bitcoin nutzten sie teure Finanzdienstleister wie Western Union, die bis zu sechs Prozent der Überweisungssumme für sich beanspruchen.
Besitzen Sender und Empfänger eine Chivo-App, können nun weltweit schnell und kostenlos Bitcoin gesendet werden (mit alternativen Wallets wie zum Beispiel Muun kostet eine Überweisung zumeist unter einem Cent). Für den internationalen Zahlungsverkehr bietet das Bitcoin-Netzwerk damit ein enormes Potenzial. El Salvador versucht, dieses zu nutzen.
Doch findet die in der Theorie gute Idee in der Praxis nur wenig Anwendung. Ein erster Grund ist der kurze Zeitraum seit der Implementierung: Erst gut ein Jahr ist Bitcoin in El Salvador gesetzliches Zahlungsmittel. Für viele Menschen ist die Technologie Neuland und sie haben noch kein Verständnis und Vertrauen darin entwickelt.
Hinzu kommen zahlreiche technische Probleme mit der Chivo-App: Geld ging bei Überweisungen verloren, Chivo-Konten wurden ohne erkennbare Gründe gesperrt, und beim Kundenservice musste man teils stundenlang in den „Chivo-Servicezentren“ auf Hilfe warten. Laien, die durch die Chivo-App zum ersten Mal mit Bitcoin in Berührung kamen, nutzen dann doch lieber Bargeld anstelle eines Systems, dessen Vorteile sich nicht gleich intuitiv erschließen.
Bitcoin weilt dadurch in El Salvador ein zögerliches Dasein. Gleichwohl bieten viele Geschäfte optional Bitcoin-Zahlungen an. Bitcoin-Romantiker betrachten das Land schon jetzt als den Pilgerort, „an dem alles begann“. So gibt es in El Zonte im Süden des Landes den „Bitcoin-Beach“, der einige Touristen anzieht. Skeptiker dagegen sehen das Bitcoin-Experiment schon jetzt als gescheitert an. Es bleibt abzuwarten. Und in der Wartezeit kann man sich beim freundlichen Mann in seinem Blechhütten-Geschäft ein Eis holen – und wer will, kann das schon jetzt mit Bitcoin bezahlen.
Der Artikel erschien zuerst bei Prometheus – Das Freiheitsinstitut.