Ein idealistischer Ingenieur aus Bologna baut mit einigen Freunden vor der Küste Riminis eine Insel. Als er diese zu einer unabhängigen Nation mit ihm als Präsidenten erklärt, ruft er die italienischen Gesetzeshüter auf den Plan.
„Das einzig wahre Menschenrecht ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden“ – Roland Baader.
Vielleicht war es auch dieser Gedanke, der den italienischen Ingenieur Giorgio Rosa dazu verleitete eine 400 qm große Plattform 11 Kilometer vor der Küste von Rimini zu bauen. Wie ein eigener Staat sollte sie sein, nur dass in der Repubblica dell’Isola delle Rose, wie Rosa später den neu gegründeten Staat nannte, jeder so sein können sollte, wie er ist. 1965 begann der aus Bologna stammende Rosa die Arbeit an seinem Projekt. Komplett unabhängig und außerhalb des italienischen Hoheitsgebiets sollte seine Insel stehen: ein winzig kleiner Rückzugsort für Rebellen und Staatenlose abseits der Einflusssphäre spießiger italienischer Gesetzeshüter und Bürokraten. Nach zehnjähriger Planung war es 1967 schließlich so weit: auf neun Pylonen stand die 20×20 Meter große Utopie. Ein Restaurant, eine Bar, ein Nachtclub und sogar ein Postamt gab es auf der Plattform, auf der in den folgenden Monaten immer wieder Partyvolk, Aussteiger und Freidenker zusammenkamen. Nicht nur aus Rimini, sondern aus ganz Europa reisten junge Menschen zur Roseninsel. Rosa erklärte die Roseninsel nun zu einem eigenen Staat mit ihm als Präsidenten und mit einer eigenen Währung.
Flagge der Roseninsel, Bild: Wikimedia Commons
Mit ein paar Freunden eine Stahlplattform mitten im Meer zu bauen, um darauf einen eigenen Staat auszurufen – das mag zunächst einmal verrückt klingen. Doch dahinter steckt ein innovativer Geist, der ein unternehmerisches Risiko einging, um vielen jungen Menschen ein Angebot zu machen: völlig frei von staatlicher Reglementierung und Dirigismus zu leben, selbst wenn es nur ein paar Stunden sind. Giorgio Rosa war damit vielleicht völlig unbeabsichtigt ein Visionär. Denn die Roseninsel begründet, ausgehend von einem kreativen Unternehmergeist die disruptive Innovation einer real ausgelebten Gesellschaftsordnung fern staatlichen Zwangs und ist damit eine Art Vorgänger heutiger Free-Private-City-Projekte.
Durch Rosas Bemühungen bei der UN als Staat anerkannt zu werden, erregte die 11 Kilometer vor der Küste Riminis liegende Insel mit der Zeit immer größere Aufmerksamkeit italienischer Behörden. Der offizielle Vorwurf lautete, er wolle mit der Roseninsel eine Steueroase erschaffen. Aber wer weiß, ob die Betreiber der Roseninsel-Bar überhaupt über eine entsprechende Lizenz verfügten oder die Ladenschlusszeiten einhielten? Das sind natürlich alles große Risiken, vor denen die Besucher der Roseninsel vom italienischen Staat geschützt werden mussten.
Um nun diesen bedrohlichen Ungewissheiten entgegenzuwirken, entschied sich der italienische Staat, obwohl die Roseninsel außerhalb des italienischen Hoheitsgebiets lag, zu intervenieren.
Unsere Welt ist ein kalter, dunkler und manchmal auch ein grausamer Ort, und so nimmt leider auch diese Geschichte nun ein trauriges Ende. Am 26. Juni 1968 landeten 4 Abgesandte der Carabiniere und der Guarda di Finanza auf der Plattform und übernahmen die Kontrolle. Die Exilregierung der Roseninsel schickte daraufhin ein Telegramm an die italienischen Verantwortlichen. Sie wiesen auf die Verletzung ihrer Souveränität hin und forderten ein Ende der militärischen Besatzung, wurden allerdings ignoriert. Zuvor schlug Rosa noch ein Angebot der italienischen Regierung aus, die bereit war, ihm eine hohe Summe zu zahlen, wenn er im Gegenzug seine Plattform aufgeben würde. Er lehnte ab. Er bestand darauf, gegen kein Gesetz verstoßen zu haben, und letztendlich ging es ihm um Freiheit nicht um Geld.
Die bloße militärische Besetzung reichte der italienischen Regierung aber nicht. Die Plattform sollte gesprengt werden. Dafür, dass die Regierung monatelang erklärte, die Konstruktion sei äußerst instabil und eine Gefahr für jeden Besucher, verlief die Sprengung allerdings eher suboptimal. Es bedurfte mehrerer Marinetaucher, die insgesamt drei Sprengversuche unternahmen, und die Insel stand trotzdem noch, zumindest teilweise. Erst ein Sturm vollendete das Werk der Regierung und die Überreste der Plattform sanken auf den Meeresboden. Die Plattform kann heute noch von Tauchern besichtigt werden.
Bild: Ishan @ unsplash.com
Freiheit ist eine zarte Pflanze, und auch, wenn sie manchmal drei Sprengversuche des italienischen Staates übersteht, so kann sie doch nicht jedem Sturm trotzen. Für uns gilt es aber, aus dem traurigen Schicksal der untergegangenen Mikronation zu lernen. Auch heute gibt es viele tüchtige Gärtner, die unter anderem mit Free-Private-City-Projekten oder dem Bitcoin versuchen, die zarte Pflanze Freiheit gedeihen zu lassen. Es wäre naiv zu glauben, dass es nicht dutzende Staaten gäbe, die versuchen würden, diese zarten Pflanzen mit chirurgischer Präzision und deutlich mehr als nur drei Sprengungen in die Luft zu jagen. Während der Bitcoin gegen die meisten staatlichen Maßnahmen resistent ist, stellen staatliche Interventionen eine große Bedrohung für die Entwicklung freier Privatstädte dar.
Auf der honduranischen Insel Roatan plant man beispielsweise unter dem Namen „Prospera” eine solche Privatstadt zu errichten. Zum Markenzeichen Prosperas sollen einmal sehr niedrige Steuern werden. Wie schon bei der Roseninsel beobachtet, ist es auch bei Prospera nicht unwahrscheinlich, dass ein Staat unter dem Vorwand eine Steueroase verhindern zu wollen, interveniert. Natürlich wird niemand Prospera sprengen, aber man kann das Projekt auf anderen Wegen sabotieren und gefährden. Hohe Strafzölle und andere Handelsrestriktionen würden wohl genügen, um Prospera ins Straucheln zu bringen und vom Welthandel abzuschneiden. Der Versuch eine Privatstadt aus dem Nichts aufzubauen, ist waghalsig genug. Äußerst zweifelhaft ist es jedoch, ob eine Privatstadt überleben kann, wenn mächtige Staaten in ihr eine Bedrohung sehr.
Der Grund für staatliche Interventionen ist, wie im Fall der Roseninsel, die Angst vor Wettbewerb und Konkurrenz. Die Intervention in andere, friedlichere Gesellschaftsformen stellt dabei nichts anderes dar als Marktzutrittsschranken. Die Mauer zwischen Ost- und West-Berlin sollte, ähnlich wie das Sprengen der Roseninsel verhindern, dass Menschen Alternativen haben und dass sie sich in Angesicht dieser Alternativen anders entscheiden, als der ein oder andere Staatsdiener es gerne hätte. Diese Form der Marktzutrittsschranken sind ein für den staatlichen Machterhalt notwendiges Mittel. Gäbe es dutzende deutschsprachige Staaten, deren Existenz allein von der Zustimmung ihrer Bürger abhinge, würden sich wohl viele gegen die Bundesrepublik in ihrer jetzigen Verfassung entscheiden. Zentralisierung und ein Mangel an Alternativen sind damit eine notwendige Bedingung für einen übergriffigen Staat.
Deswegen werden Staaten auch in Zukunft intervenieren, wenn ihre Macht in Gefahr ist. Sie werden Konkurrenten ausschalten und Wettbewerb verhindern. Es bleibt die Aufgabe des Liberalen genau diesen Wettbewerb zu ermöglichen und sich der zunehmenden Zentralisierung entschlossen entgegenzustellen.
Übrigens: die Geschichte der Roseninsel wurde von Netflix als „Die unglaubliche Geschichte der Roseninsel“ verfilmt. Ich kann diesen Film aufgrund eines genialen Storytellings und der großartigen musikalischen Untermalung jedem wärmstens empfehlen.