Tyler Cowen ist Professor an der George-Mason-Universität in den USA. Cowen leitet einen bekannten Podcast mit Namen Conversations with Tyler und ist zudem auf seinem Marginal Revolution-Blog aktiv. Er ist Autor mehrerer Bücher, u.a. Stubborn Attachments. Das Video-Interview wurde von Juan D. Estevez auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.
Prof. Cowen, wir danke Ihnen, dass Sie Teil unseres Projekts sind. Wir haben nicht damit gerechnet, dass solche berühmte Personen wie Sie bei unserem Q&A mitmachen. Deshalb sind wir Ihnen wirklich dankbar, dass Sie mitmachen.
Ich freue mich, Teil des Projektes zu sein.
Wann haben Sie zum ersten Mal im Leben den Wert der Freiheit erkannt?
Nun, vielleicht als ich drei Jahre alt gewesen bin und etwas tun wollte, das meine Eltern mir nicht erlaubt haben (*lacht*). Aber im Ernst. Als ich 13 Jahre alt war, habe ich angefangen, über Wirtschaft und Philosophie zu lesen und bin auf viele Werke über Freiheit gestoßen, die bei mir einen großen Eindruck hinterlassen haben. Ich habe also definitiv mit 13 den Wert der Freiheit erkannt. Und es kam hauptsächlich durch das Lesen, wie auch ein wenig durch Gespräche mit meinem Vater.
Da Sie das Lesen erwähnt haben, welches Buch hat Sie am meisten beeinflusst?
Nun, ich denke, dass Ökonomie lernen an sich insgesamt wichtiger war als jedes einzelne Buch. Aber das erste Buch, das ich gelesen habe, hieß The Incredible Bread Machine und war von mehreren Autoren geschrieben worden. Der Hauptautor war Susan Love Brown. Also, wenn Buch Nr. 1 dich zu Buch Nr. 2 bringt, dann denke ich, dass Buch Nr. 1 das Wichtigste war, weil wenn es kein Buch Nr. 2 gibt, ist das das Ende der Geschichte. Wenn ich mich recht erinnere war dieses Buch Nr. 2 Henry Hazlitts Economics in One Lesson. Also diese frühen Bücher waren die wichtigsten — denn erst durch sie wurde mein Interesse geweckt.
Welcher Denker hatte den größten Einfluss auf Sie?
Ich bin mir nicht sicher. Es gab Hayek, Milton Friedman, Rand, Mises, Rothbard: jene Libertäre, die die Menschen in den 1970er Jahren gelesen haben. Aber ich habe sie alle zur gleichen Zeit gelesen, also ist es schwierig, einen Einzelnen von ihnen auszuwählen. Und ich denke, dass zu dieser Zeit aktuelle Ereignisse einen großen Eindruck auf mich gemacht haben. Es gab hohe Inflationsraten, übermächtige Gewerkschaften, zu hohe Steuersätze und alles Mögliche an Problemen. Und ich habe schon in einem ziemlich jungen Alter die Nachrichten verfolgt und mitbekommen, was um mich herum passiert ist. Währenddessen habe ich diese Leute gelesen und was sie sagten, passte für mich alles ziemlich gut zusammen.
Bewegen wir uns in Richtung einer philosophischeren Frage: Was ist Freiheit und was sind ihre Grenzen?
Was ist Freiheit? Nun, wenn Sie politische Freiheit meinen, würde ich politische Freiheit als ein System ansehen, in dem Eigentumsrechte geschützt werden, Gesetze auf gerechte Art und Weise durchgesetzt werden, aber ansonsten die Einschränkungen für die Menschen auf ein Minimum begrenzt sind und sie frei sind, das zu tun, was sie tun wollen. Unter der Voraussetzung, sie schaden anderen nicht auf eine Art und Weise, die die Rechte dieser anderen Menschen verletzt. Das ist nahe an John Stuart Mill, aber mit einem etwas libertäreren Touch in meiner Definition dessen, was Freiheit ist.
Sie haben erwähnt, dass die Nachrichten, die Sie verfolgt haben, Sie sehr beeinflusst haben. Wie ist Ihre Meinung zur Entwicklung der Freiheit in den letzten Jahrzehnten, und was ist heute die größte Bedrohung für die Freiheit?
Nun, Sie fragen, wie es in den letzten Jahrzehnten war. Es hängt sehr davon ab, welches Jahrzehnt man betrachtet. Es gab viele positive Entwicklungen auf der Welt, aber auch viele negative. Ich denke, die Menschen in den USA sind heute deutlich etatistischer als sie es in den 1980er und 1990er Jahren gewesen sind, aber es gibt einige Anzeichen, dass sich diese Entwicklung moderiert. Ich würde nicht sagen, dass es besser wird. Aber diese schnelle Verschlechterung hat, denke ich, aufgehört. Wir sind relativ stabil. Um das zu betonen, es gibt keine Umkehr, aber es wird auch nicht schlimmer. Die Menschen sind etwas moderater.
Aber es gibt viele Teile der Welt, die viel freier sind als früher. Im August war ich drei Wochen in Indien. Sie sind reicher geworden, auch wenn sie nicht mehr politische Freiheit haben. Es gibt viel Zensur und Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Dennoch gibt es mehr Möglichkeiten im Land aufgrund einer freieren Wirtschaft. Wir sehen viele Länder in Lateinamerika, wo es schlechter wird, nachdem es ursprünglich besser geworden war. Es ist also ein sehr kompliziertes Bild, aber es ist nicht das, was ich mir erhofft habe. Ich sehe die 1990er als Hochpunkt der positiven Veränderungen in eine pro-freiheitliche Richtung. Seitdem ist es eine Mischung aus komplizierten und negativen Entwicklungen. Also die größte Bedrohung für die Freiheit in den USA ist im Moment einfach, dass diese Dinge nicht besser werden – und sie sich möglicherweise weiter verschlechtern können.
Ich denke, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht wirklich darum kümmern, was um sie herum passiert, um Politik oder um die Einschränkungen und Maßnahmen, die die Regierung erlässt. Daher die Frage: brauchen wir wirklich Freiheit in den nächsten Jahren?
Nun, ich bin mir nicht sicher, was das Wort “brauchen” bedeutet. Je früher wir Freiheit haben, desto früher werden wir wohlhabender und ein erfülltes Leben führen. Und wir werden größere Autonomie besitzen und Herr unseres eigenen Schicksals sein, was einen intrinsischen Wert hat und was eine gute Sache an und für sich ist.
Können wir als reiche Gesellschaft für längere Zeit ohne mehr Freiheit leben? Das können wir! Und das ist Teil des Problems. Sobald wir wohlhabender sind, setzt eine gewisse Trägheit ein. Aber die Möglichkeiten, die wir außer Acht und ungenutzt lassen, sind einfach erstaunlich. Ich denke, die meisten Menschen sehen sie nicht und es wäre wunderbar, wenn wir mehr davon nutzen könnten.
In Deutschland fragen wir unsere Interviewpartner, welches Schild sie am Brandenburger Tor aufhängen würden. Jetzt haben wir für unsere internationalen Interviews beschlossen, diese Frage international zu stellen – wir haben uns für den Times Square entschieden. Wenn Sie ein großes Schild im Times Square aufhängen könnten, was würde darauf stehen? Und warum?
“Ich hoffe, dass es nicht schon zu spät ist!“ Auf dem Brandenburger Tor! [Deutsch im Original] Aber ernsthaft: Auf dem Times Square würde niemand bemerken, was dort steht. Am Brandenburger Tor würden es mehr Leute lesen. Es gibt so viele Schilder auf dem Times Square. Ich denke nicht, dass es eine Rolle spielt. Das ist Teil des Problems der modernen Welt. Es ist schwer für jemanden, wirklich gehört zu werden. Teilweise ist das ein Schutz, da auch schlechte Leute in ihrem Einfluss begrenzt sind. Aber es ist eine sehr andere Umgebung als die 1970er, in denen ich aufgewachsen bin. Also es gibt das Internet, und das verändert völlig die Natur der Kommunikation. Und die USA ist ja letztendlich eine internetzentrierte Gesellschaft, mehr als Deutschland.
Denken Sie, dass es schwieriger ist, Kontakt zu neuen Leuten aufzubauen? Ich meine, wenn man auf Twitter geht, bewegen sich alle in Blasen. Es gibt die Libertären-Blase und es gibt andere Personen, die nichts über Politik wissen wollen und in ihren Blasen bleiben. Also hat man keinen Kontakt zu Leuten, die anders denken. Und wir schaffen diese Echo-Kammern und niemand hört die andere Position und wir reden einfach nicht miteinander. Unsere Nachricht, dass Freiheit etwas Wichtiges ist, für das wir kämpfen sollten, erreicht einfach keine Leute außerhalb unserer Blasen.
Meine Diagnose ist etwas anders. Ich denke, dass die Leute die andere Position hören, aber sie hören sie so oft, dass sie keine Bedeutung mehr für sie hat. Und sie hören so viele Positionen, dass es einfach Teil des Hintergrundgeräusches wird. Es ist wie auf einer Cocktailparty, es gibt viele Gespräche und vielleicht kannst Du alle oder die meisten hören, aber Du hörst keinem von ihnen zu. Das macht es schwer für Ideen, Fortschritte zu machen. Wiederum sind das positive und negative Seiten. Aber ich denke, dass das unsere aktuelle Situation ist.
Unser Magazin wird hauptsächlich von jungen Leuten und Studenten gelesen. Daher richtet sich die letzte Frage eher an sie: Was ist Ihr Rat für einen jungen Absolventen, der gerade ins Berufsleben einsteigt? Welchen Rat sollte er besser ignorieren?
Nun, mein Rat für so jemanden ist, was ich die Kleingruppentheorie nenne. Hab’ eine kleine Gruppe von Peers, mit denen Du ständigen Kontakt hast und von denen Du fast jeden Tag lernst. Es kann persönlich sein, es kann online sein, es kann eine Mischung aus beiden sein, aber die Qualität Deiner Peers ist von entscheidender Bedeutung und versuche immer, diese zu erhöhen.
Rat, den man ignorieren sollte… Die meisten Ratschläge – einschließlich von mir (*lacht*). Der Grenzertrag von Ratschlägen ist vielleicht nicht so hoch. Also, ignoriere die meisten Ratschläge.
Die Menschen, die wirklich erfolgreich sind, hören auf andere, aber letztendlich finden sie ihren eigenen Weg.
Das ist ein großartiger Rat und ein perfektes Ende des Interviews! Vielen Dank für Ihre Zeit, Professor!
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