Auf Ludwig Erhard – den Mann, der die deutsche Wirtschaft entnazifizierte

von Juan de Dios Estevez

Am 4. Februar 1897 wurde Ludwig Wilhelm Erhard geboren. Erhard wurde zu einem der einflussreichsten Politiker der deutschen Nachkriegszeit, ist außerhalb Deutschlands aber leider wohl weniger bekannt als andere. Aber Erhards politischer Einfluss hat die deutsche Wirtschaft für immer geprägt. Dieser kurze Artikel ist mein Geschenk an Erhard zu seinem 126. Geburtstag und ein Zeichen der Dankbarkeit.

Erhard gilt heute als der Hauptarchitekt hinter dem Wirtschaftswunder in Westdeutschland und als der Vater der Sozialen Marktwirtschaft. Als jemand, der ursprünglich Akademiker war, dann aber Politiker wurde, war Erhard von 1949 bis 1963 Wirtschaftsminister unter Konrad Adenauer und von 1963 bis 1966 Bundeskanzler –bis zu seinem Tod im Jahr 1977 blieb er Mitglied des Deutschen Bundestages.

Heute könnte man ihn als einen Ideologen bezeichnen. Er kämpfte für seine Ideale – was ihm in der Welt der Politik mehr als einmal Probleme mit seinen Kollegen bereitete. Er blieb jedoch dem treu, woran er glaubte, und stellte seine Prinzipien über die Parteipolitik. Nach dem Zweiten Weltkrieg warb die CDU mit Slogans wie „Überwindung von Kapitalismus und Marxismus„. Innerhalb von nur wenigen Jahren hatte Erhard es geschafft, die Positionen der Partei komplett zu ändern – und das, ohne Mitglied zu sein. Heute ist Erhard immer noch der einzige unabhängige Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Deutschland in Trümmern, nicht nur was die Infrastruktur anbelangt, sondern auch das wirtschaftliche. Preisregulierungen für Waren und Dienstleistungen führten zu Schwarzhandel und Mangel, hohe Arbeitslosigkeit und eine wertlose Währung machten das Leben beschwerlich. Ludwig Erhard, der von 1942 bis 1945 Leiter des Instituts für Industrieforschung war, wurde von den amerikanischen Alliierten ausgewählt, um Bayerns erster Finanzminister der Nachkriegszeit zu werden. Bald gewann er die Alliierten für sich und wurde mit einer großen Aufgabe betraut: die Währungsreform auszuarbeiten. Erhard wollte zusammen mit der Währungsreform weitere Änderungen einführen – die Alliierten waren jedoch nicht bereit, solch abrupte Änderungen zuzulassen. Schlussendlich setzte sich Erhard durch und die Reform fand 1948 statt.

Die dringend benötigte Reform reduzierte die verfügbare Geldmenge um 93 Prozent und wurde von erheblichen Steuersenkungen begleitet. Gegen den Willen der Alliierten beseitigte Erhard auch Preisregulierungen und etablierte gleichzeitig Monopolkontrollen. Die radikale Reform befreite fast alle Waren – von Gemüse bis hin zu Fertigwaren – von Preisregulierungen und brachte die Deutsche Mark hervor. Erhard hatte nun die Wirtschaft entnazifiziert.

Ein Jahr später wurde Erhard deutscher Wirtschaftsminister. Während Erhards Reform den Weg für das Wirtschaftswunder ebnete, war er nicht allein. Eine Reihe von Akademikern lieferte die Blaupause für das, was wir heute als Soziale Marktwirtschaft kennen. Erhard und sein Staatssekretär Alfred Müller-Armack orientierten sich an den Arbeiten der sogenannten Freiburger Schule.

Akademiker wie Walter Eucken, Franz Böhm, Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow brachten die deutsche Version des Neoliberalismus voran: den Ordoliberalismus. Der Ordoliberalismus setzt sich für den freien Marktkapitalismus ein und erlaubt gleichzeitig der Regierung, eine Rolle bei der Verhinderung von Monopolen und der Schaffung eines Sozialstaats zu spielen.

Das Wirtschaftswachstum setzte sich in den folgenden Jahren fort. Nur ein Jahrzehnt später war die industrielle Produktion der Bundesrepublik Deutschland bereits viermal höher als 1948. In den 50er und 60er Jahren erlebte das Land 25 Jahre kontinuierlichen Wachstums ohne Stagnation oder Schrumpfens. Mit einem Wirtschaftswachstum von rund acht Prozent, niedriger Arbeitslosigkeit, niedrigen Preissteigerungen und steigenden Reallöhnen erlebten die Deutschen eine noch nie dagewesene Stabilität. Der Wohlstand erreichte nicht nur die Oberschicht, sondern auch die breite Bevölkerung bekam einen Teil des zunehmenden Reichtums ab. Mit dem Verbraucher im Fokus wurden bessere und günstigere Produkte produziert – Made in Germany hatte wieder Bedeutung.

Erhard nahm eine resolute Haltung ein: Die Wirtschaft musste von staatlicher Kontrolle befreit werden. Es waren die individuellen Entscheidungen der Verbraucher und ihre Interessen, die den Marktprozess hin zur Effizienz und zum Wohlstand lenkten – der Verbraucher wurde zum König, nicht die zentralen Planer in Regierungsbüros. Der staatliche Eingriff sollte auf ein Minimum beschränkt sein.

Neue Unternehmen konnten ohne große Barrieren in den Marktprozess eintreten und weniger rentable Unternehmen mussten ihn verlassen. Die Kontrolle von Monopolen verhinderte zu große Akteure und die Verbraucher profitierten von der Konkurrenz. Für Erhard war „Wohlstand für alle“ eng mit „Wohlstand durch Wettbewerb“ verbunden. Erhard war sich sicher, dass der freie Wettbewerb ständig in Gefahr war und daher ständig verteidigt werden musste.

Jedoch entstanden nach Erhards Amtszeit immer mehr Fragen zur Rolle des sozialen Aspekts in der Sozialen Marktwirtschaft. Viele Politiker (einschließlich derjenigen der CDU) forderten eine größere soziale Rolle für die Regierung und plädierten für mehr staatliche Intervention im Sozialsystem und der Wirtschaft – mit dem Argument, dass der soziale Bestandteil von Erhards Vermächtnis aktualisiert werden müsse. 1974 erklärte Erhard selbst, dass die Ära des Wirtschaftswunders vorbei und die Soziale Marktwirtschaft lange verschwunden sei. Für ihn hatten die neuen Maßnahmen und Reformen nichts mit den Prinzipien individueller Verantwortung und Freiheit zu tun, für die er so vehement gekämpft hatte.

Heute, fast 60 Jahre nach Erhards Kanzlerschaft, ist der Begriff Soziale Marktwirtschaft unter Politikern zu einem leeren Buzzword geworden. Eingriffe der Europäischen Union und eine expansive Geldpolitik untergraben die Kernprinzipien von Erhards Reformen. Vielleicht ist es Zeit für die Freiburger Schule, ihr Comeback zu feiern – diesmal nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU.

Der Beitrag erschien im Original bei den Young Voices Europe und wird hier mit freundlicher Genehmigung in deutscher Übersetzung erneut veröffentlicht. Der Beitrag spiegelt die Meinung des Autors, nicht notwendigerweise jene der Organisation wider. Dieser Blog bietet eine Plattform für unterschiedliche liberale Ideen. Du möchtest auch einen Artikel beisteuern? Schreib uns einfach eine Mail: redaktion@derfreydenker.de!

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2 Kommentare

Jana 28. März 2023 - 15:41

Eine schöne Hommage, nur das mit dem „unabhängigen Bundeskanzler“ möchte ich bezweifeln. Erhard war ganz klar ein CDU-Bundeskanzler und von 1966 bis 1967 auch Bundesvorsitzender der CDU. Man munkelt zwar, sein Mitgliedsantrag sei nicht ganz korrekt ausgefüllt gewesen, so dass er rein formalrechtlich vielleicht wirklich niemals Mitglied der Partei war, aber „unabhängig“ von der CDU war er bestimmt nicht. Er hätte ja auch nicht zum Bundesvorsitzenden dieser Partei gewählt werden können bzw. seine Wahl hätte nachträglich angefochten werden können, hätte er nicht (formaljuristisch möglicherweise zu Unrecht) als Mitglied gegolten.

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Juan De Dios Estevez 29. März 2023 - 11:59

Herzlichen Dank für Ihr Feedback! Ja, das Thema mit der Mitgliedschaft ist sehr umstritten – und ich habe lange gebraucht, bis ich mich entschied, das in den Artikel aufzunehmen. Abgesehen davon, ob er Mitglied war oder nicht, kann man tatsächlich bestreiten, ob er wirklich unabhängig war, da er sich eh auf die CDU verlassen musste. Es gibt jedoch mehrere Beispiele, die zeigen, dass er auf jeden Fall kein Parteisoldat war und, dass ihm seine Ideen und Überzeugungen wichtiger waren als die Parteilinie – letztendlich hat ihm das am Ende seine Positionen in der Partei gekostet. Und das wollte ich vor allem hervorheben – vor allem heute, in Zeiten mit Berufspolitikern und Parteisoldaten. Es wäre nicht schlecht, wenn wir mehr Politiker wie Erhard hätten.

Mehr über die Mitgliedschaft von L. Erhard:
https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=2db757ef-88c7-2b6d-811d-1468e555287b&groupId=252038

Herzlichen Dank nochmal für Ihren Kommentar und danke, dass Sie uns lesen!

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