Lieferkettengesetz: Zwischen Idealismus und Realität

von Vincent Czyrnik

Das neue „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz” macht die Lieferketten fairer, transparenter und nachhaltiger – heißt es. Aber ist das wirklich so?

Bei jeder neuen Regelung stellen sich zwei Fragen: Was bringt sie? Und was kostet sie? Aber insbesondere die zweite Frage beschwört das Bild eines eiskalten Rationalisten herauf, der versucht, eine ungemein bedeutsame Maßnahme zu untergraben. Denn es ist wichtig, dass wir Kinderarbeit in Kenia verbieten, dass wir „faire“ Löhne in Bangladesch bezahlen, und dass die Näherin in Vietnam nicht mehr als 40 Stunden arbeitet! – Koste es, was es wolle…

Denn wenn wir Kinderarbeit und Co. verbieten, machen wir uns nicht mehr die Hände schmutzig. Wir können mit gutem Gewissen die neuen Adidas-Sneaker kaufen, und die Kaffeebohnen aus dem Lieblingscafé wurden nicht von Kinderhänden gepflückt. 

Und was soll eine solche Regelung schon kosten? Höchstens geht sie auf Kosten jener Unternehmen, die immer wieder in Bredouille geraten, weil sie Kinder, Frauen, und die Natur rund um den Globus ausbeuten! Von daher ist es eine gute Idee, da endlich mal etwas zu unternehmen! Freilich soll das kein bürokratisches Monster werden, wie der Name – Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – anmuten lässt. Aber ein bisschen was tun, das sollten wir doch alle!

„Fairere“ Lieferketten für Europa

Man stelle sich vor, das Lieferkettengesetz tritt in Kraft. Von heute auf morgen müssen die großen Kaffeeproduzenten sicherstellen, dass ihre Produkte frei von Kinderarbeit sind.

Was passiert mit den Kindern, welche in Kenia die Kaffeebohnen von den Bäumen pflücken?

Zum einen verlieren sie ihren Job. Den machten sie nicht freiwillig, sondern ihre Familien zwangen sie dazu. Aber warum zwingen gutmeinende Eltern rund um den Globus ihre Kinder dazu, zu arbeiten, statt ihnen eine unbeschwerte Kindheit zu bescheren?

Die Familien in Kenia und überall dort, wo Kaffee angebaut wird, sind bitterarm. Die arbeitenden Kinder tragen dazu bei, den Familien ein bisschen mehr an Wohlstand zu verschaffen: statt nichts gibt es ein wenig Brot zu essen, statt kaputter Kleidung gibt es nun reparierte Kleidung und statt Schlafen ohne Dach kann sich die Familie einen Regenschutz leisten. 

Von heute auf morgen haben wir reichen Europäer keine Lust mehr auf die Kaffeebohnen der Familie – aus guten Gründen! Aber was passiert schlussendlich mit den Familien, die ihren Kaffee nicht mehr nach Europa verkaufen können, weil Kinderarbeit drinsteckt? Dort gibt es kein Bürgergeld oder Kinderförderungsprogramme. Die Kinder in die Schule schicken – da fragen sich die kenianischen Eltern: mit welchem Geld?

Auf der anderen Seite des Globus arbeiten die Näherinnen in Vietnams Schuhfabriken. Sie ackern hart, mitunter 80 Stunden an sechs Tagen die Woche. Sie wohnen in engen Gemeinschaftszimmern und verdienen dabei Mindestlohn. Was bedeutet: 80 Cent pro Stunde. 

Nun kommen wir Europäer mit guten Gründen daher und sagen: Das finden wir nicht fair! Die Näherinnen sollten mehr Geld kriegen, statt eines kleinen Betts in einem Gemeinschaftszimmer eine eigene Wohnungen haben und endlich mal Urlaub machen.

Das neue Lieferkettengesetz könnte vorschreiben, dass wir nur bei einem Lohn von mindestens zwei Euro pro Stunde die Ware importieren dürfen. Die Wunschvorstellung wäre, dass die Näherinnen in Vietnam tatsächlich die zwei Euro bekommen – schließlich machen die Großkonzerne hohe Profite mit den Sneakern aus Fernost und könnten ein wenig mehr Gehaltskosten verkraften.

Das wird nicht passieren. 

Stattdessen müssen nun die Näherinnen mehr Sneaker pro Stunde schaffen, die Pausenzeiten werden kürzer und die Urlaube werden seltener. All das soll dazu dienen, dass die Näherinnen die zwei Euro auch tatsächlich durch eine höhere Arbeitsintensität erwirtschaften. 

Das gleiche Phänomen erlebten wir in Deutschland mit der Einführung des Mindestlohns. Die Paketboten musste für das zusätzliche Gehalt mehr Pakete pro Stunde ausliefern, mit der Folge, dass die eine oder andere Auslieferung übersprungen wurde. Es hat wohl jeder schon mal erlebt, dass wir auf unserem Smartphone die Meldung bekommen: „Wir konnten Sie leider nicht antreffen“, obwohl wir zu Hause waren. Es ist keine nachhaltige Lösung, mit mehr Druck auf Arbeitskräfte die Löhne zu erhöhen und gleichzeitig die Qualität der Güter und Dienstleistungen zu verschlechtern.

Was hilft?

Die Lebensumstände in Kenia, Vietnam & Co. sind nicht viel anders als hierzulande vor 200 Jahren. Damals gab es in Europa fast überall Kinderarbeit, 12-Stunden-Schichten und Gemeinschaftsbaracken mit Zwölf-Mann-Zimmern. Statt mit neuen Regeln um uns zu werfen, sollten wir uns die Frage stellen: Was hat dazu geführt, dass wir diesen Lebensumständen entkommen konnten?

War es einzig das Ausbeuten der Natur, die Verlagerung des Billiglohnsektors nach Fernost und das Fortführen der Kinderarbeit – nur anderswo?

Das war es nicht. Es war und ist das oftmals verteufelte Wirtschaftswachstum, mit dessen Hilfe es uns gelang und gelingt, aus weniger mehr zu machen: mit Maschinen und Dünger können wir schneller und mehr ernten, und damit mehr Brot auf den Tisch bringen; mit Kränen und ausgebildeten Arbeitskräften können wir schneller Häuser in die Höhe ziehen, und damit mehr und bequemeren Wohnraum schaffen. 

Das Lieferkettengesetz wird kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in die armen Länder bringen. Es bringt keine Kräne nach Vietnam, es bringt keine Ausbildungsberufe nach Kenia. Stattdessen wird es die nachhaltige Entwicklung genau dort stoppen, wo wir sie eigentlich fördern möchten.

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2 Kommentare

Kenan 7. Juli 2024 - 20:15

Ich verstehe die Dynamik, aber was ist daran kolonialistisch? Es werden ja grade keine Menschen und Ressourcen in ärmeren Ländern mehr ausgebeutet. Sie kriegen vielmehr eine Art Todesstoß.

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Vincent Czyrnik 8. Juli 2024 - 09:05

Vielen Dank für Deinen Hinweis. Wir haben den Titel angepasst. Er stammte noch aus einer alten Version des Artikels.

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