Etatismus als Feind des Friedens: 80 Jahre Mises’ Omnipotent Government

von Max Molden

Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises erklärte einmal, er habe Reformer werden wollen, sei aber nur der Geschichtsschreiber des Niedergangs geworden. Zu Mises’ Beiträgen zur Geschichtsschreibung zählt insbesondere sein Buch Omnipotent Government: The Rise of the Total State and Total War, das 1944, also vor 80 Jahren, erschien. In diesem Werk setzt sich Mises mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und dessen Wesen auseinander.

Mises’ Hauptaugenmerk liegt auf der Ausarbeitung, wie ökonomische Überzeugungen den Weg in den 2. Weltkrieg begünstigten. Das Buch handelt von den “consequences of etatism for international relations”. Der Pfad führt von falschen ökonomischen Theorien zum Etatismus, der wiederum zum Nationalismus führt, welcher dann in Krieg mündet. Mises fasst zusammen:

Present-day protectionism is a necessary corollary of the domestic policy of government interference with business. Interventionism begets economic nationalism. It thus kindles the antagonisms resulting in war. An abandonment of economic nationalism is not feasible if nations cling to interference with business.

Vielleicht die Kernidee von Mises als Historiker ist die Zentralität von Ideen. In Theory and History resümiert er etwa, “The genuine history of mankind is the history of ideas”. Dieses Thema findet sich immer wieder bei ihm. So sind es auch Ideen – vor allem (falsche) ökonomische –, die zum Etatismus führen und die Mises in den meisten seiner anderen Werke kritisiert hat, vom Interventionismus bis hin zum Sozialismus.

Ein etatistisches Land ist nun eines, in dem der Staat eine große Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft spielt. Er greift hier und dort ein, vielleicht kommt es bald gar zu kompletter Wirtschaftsplanung. Staatseingriffe sind aber inkompatibel mit Freihandel – und das ist wohl die zentrale Einsicht, die Mises in seinem Buch zu vermitteln versucht. Denn wenn etwa der Staat in einem seiner Wirtschaftssektoren bestimmte Vorschriften macht, bilden diese einen Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen in diesem Sektor. Gleichzeitig gelten diese Vorschriften aber nicht für Unternehmen anderer Länder, welche folglich einen Wettbewerbsvorteil haben. Wenn nun der Staat ein Interesse an der allgemeinen Umsetzung dieser Vorschriften oder zumindest an dem Schutz seiner Unternehmen angesichts internationaler Konkurrenz hat, dann muss er diese schützen. Er muss Barrieren errichten, etwa in Form von Zöllen. Und das bedeutet: kein Freihandel. 

Aus den Interventionen in die Wirtschaft ergibt sich also, so Mises, die Notwendigkeit einer Abkehr vom Freihandel. Dieser Freihandel ist aber wiederum wichtig für friedliche internationale Beziehungen. Denn wenn ein fremder Staat mich am freien Tausch mit jemandem hindert – und eine internationale Arbeitsteilung haben wir nun mal –, dann habe ich zumindest einen Anreiz, diese Hinderung wegzunehmen. Etwa, indem ich den Staat besiege und die künstlichen Barrieren mit meiner militärischen Macht beseitige.

Das Ganze wird natürlich noch bedeutungsschwerer, wenn die Überzeugung vorherrscht, ohne Freihandel seien die grundlegendsten Bedürfnisse der Bürger des eigenen Landes nicht zu stillen. Etwa, weil in meinem Heimatland lebensnotwendige Ressourcen nicht verfügbar sind. In diesem Fall ist es wohl unausweichlich, die andere Nation zu erobern – will man denn nicht selbst untergehen.

Dieses Denken sieht Mises als zentral für die Entstehung des Nationalsozialismus und dessen Beligorisität. Und, als Bestätigung von Mises’ These, findet sich die Überzeugung, Freihandel sei keine Option, in den Gedanken Hitlers wieder, der deswegen die Eroberung von Lebensraum wollte. So berichtet der Journalist George Sylvester Viereck 1932 von seinem Gespräch mit Hitler:

“Is it not,” I asked, “possible for Germany to reconquer the world economically without extending her territory?”

Hitler shook his head earnestly. “Economic imperialism, like military imperialism, depends upon power. There can be no world trade on a large scale without world power.”

Was Mises’ Ausführungen so spannend macht, ist der Umstand, dass der Aufstieg des Totalitarismus eingebettet wird in die größeren intellektuellen Entwicklungen der Zeit. Folgt man Mises, dann war der Nationalsozialismus zwar wohl keine notwendige, aber doch eine erwartbare Konsequenz aus den vorherrschenden Ideen. “Hitler was not the founder of Nazism; he was its product”, wie der 1881 geborene Ökonom an anderer Stelle einmal schrieb. Mises’ Position harmoniert damit mit jener anderer großer liberaler Denker, die stets betonten, dass der Totalitarismus des 20. Jahrhunderts als Teil einer größeren Entwicklung erklärt werden könne und müsse. Friedrich von Hayek beispielsweise sah im Nationalsozialismus genau wie Mises ein Produkt früherer geistiger Strömungen, das er in The Road to Serfdom näher zu ergründen trachtete.

The problem is … to determine the circumstances which during the last seventy years have made possible the progressive growth and the ultimate victory of a particular set of ideas, and why in the end this victory has brought the most vicious elements among them to the top.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Michael Polanyi in seinem Paper “The Authority of the Free Society”, in welchem er ebenfalls nach Gründen für den Aufstieg des Totalitarismus sucht.

We have all learned how to trace the collapse of freedom in the twentieth century to the writings of certain philosophers, particularly of Marx, Nietzsche and their common ancestors, Fichte and Hegel. But the story has yet to be told how we welcomed as liberators the philosophies which were to destroy liberty.

Der Blick auf andere Denker ist sehr wichtig, denn Mises’ Buch beleuchtet nur einen Aspekt von einer Vielzahl von Gründen, die für den Aufstieg des Nazismus und dessen zentrale Wesensmerkmale entscheidend waren. Aber die Erklärungen, die unterschiedliche Denker bieten, sind in vielen Fällen komplementär. So ist es kein Zufall, dass sowohl Mises als auch Polanyi den Nationalsozialismus wie auch den Faschismus als Anwendung des Klassenkampfes auf internationaler Ebene interpretieren. In beiden Fällen waren es die “have-nots”-Nationen, die sich emporschwangen. “The text of Fascist and National-Socialist foreign policy ran … exactly on the lines of a Marxism applied to class war between nations”, erklärte Polanyi im oben erwähnten Artikel. Mises schrieb:

What the “progressives” assert with regard to domestic affairs – that traditional ideas of liberty are only a fraud as far as the poor are concerned, and that true liberty means equality of income – the spokesmen of the “have-not” nations declare with regard to international relations.

Hier zeigt sich wieder die überragende Bedeutung von Ideen. Denn es sind ja gerade falsche ökonomische Theorien, wie etwa die objektive Wertlehre, die Wegbereiter des Etatismus sind – mit all seinen Folgen, auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

Vor 100 Jahren, im Jahr 1924, konnte sich die Weimarer Republik langsam stabilisieren. In den folgenden Jahren schien es in Deutschland bergauf zu gehen. Aber folgt man Mises, war die Saat der Katastrophe schon längst ausgebracht. Denn der Etatismus befand sich schon seit langem auf dem Vormarsch. Auch wenn Geschichte sich nicht wiederholt, sondern singulär ist, sollte der Blick in die Vergangenheit ein Fingerzeig sein. Wenn Mises Recht hat, tut sich nämlich für alle Etatisten ein Dilemma auf. “The abandonment of economic nationalism, an indispensable condition for the establishment of lasting peace, can only be achieved through a unification of government, if people do not want to return to the system of unhampered market economy.” Entweder eine Rückkehr zur freien Marktwirtschaft oder eine einzige Regierung – sei es auf friedlichem Wege oder mittels Krieg…

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