In einem Staat, der das und nur das tut, womit alle Bürger einverstanden sind, hat eine Schuldenbremse keinen Sinn. Argumente für eine Schuldenbremse gewinnen nur dann an Relevanz, wenn wir von illegitimen, also nicht-liberalen Staaten ausgehen. Das bedeutet aber auch, dass Argumente gegen die Schuldenbremse, die von einem legitimen Staat ausgehen, verfehlt sind.
Der Ökonom James M. Buchanan hat einmal geschrieben, dass wir uns über staatlichen Zwang wenig oder eher gar keine Sorgen machen müssen, wenn er sich im Rahmen des Nachtwächterstaates bewegt, d.h. wenn der Staat ausschließlich ein “protective state” ist. Solch einen Staat können wir als einen interpretieren, der lediglich legitime Herrschaft ausübt, also Herrschaft, der alle zustimmen und die deshalb nicht anstößig ist.
Erst wenn wir über diese Ebene der Politik hinausgehen, so Buchanan weiter, wird es problematisch:
The problem becomes one of organizing the beyond-minimal politics of the “productive” and the “transfer” state so as to minimize the potential for political coercion or, stated conversely, to maximize the protected sphere of individual sovereignty.
Es ist also die “beyond-minimal politics”, die uns Kopfzerbrechen bereitet. Denn hier werden wir das Opfer von Zwang, dem wir nicht zugestimmt haben, also von illegitimer Herrschaft, die autoritär ist und unsere Freiheit bedroht und letztlich nimmt. Wir entfernen uns hier folglich von einem liberalen System.
Eine Welt “beyond minimal politics”
Leider ist es aber so, dass wir in der Welt, in der wir leben, auch wirklich “beyond minimal politics” haben. Das heißt, wir leben in einer autoritären Welt – auch wenn es hier natürlich große (und entscheidende) Unterschiede gibt, also Abstufungen im Autoritarismus. Aber in einer solchen autoritären Welt, in der wir stets die Macht des Staates fürchten müssen, tun wir gut daran, die Macht des Staates zu begrenzen. Das heißt, wir tun gut daran, praktische Maßnahmen zu ergreifen, mit deren Hilfe wir die Macht des Staates so einzäumen können, dass die illegitime, also autoritäre Herrschaft nicht zu weit geht und ins extrem Autoritär kippt. Zu nennen sind hier Dinge wie die Gewaltenteilung, aber auch eine geschriebene Verfassung.
Vor diesem Hintergrund können wir uns der Schuldenbremse zuwenden. Würden wir in einem System leben, in dem der Staat nur das tut, wozu wir Bürger alle unsere Zustimmung geben, dann wäre eine Schuldenbremse überflüssig. Denn der Staat würde nur dann Schulden machen, wenn wir Bürger alle zustimmen. Und er würde die so aufgebrachten Mittel nur für das ausgeben, wozu wir Bürger alle unsere Zustimmung gegeben haben. Wenn wir also davon ausgingen, dass sich alle Bürger darüber einig wären, dass der Staat für die Landesverteidigung sorgen soll – ob legitimes staatliches Handeln hier wirklich möglich ist, lasse ich einmal dahingestellt – und dafür Schulden machen soll, dann wäre dagegen nichts einzuwenden. Und vor allem wäre eine Schuldenbremse dann wirklich absurd. Alle wollen, dass sich der Staat verschuldet, um die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen, und jetzt soll er daran gehindert werden?
Nur leben wir leider nicht in einer Welt, in der der Staat als braver Treuhänder das und nur das tut, wozu er mandatiert wurde. Vielmehr haben wir staatliche Akteure, die ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen wollen, zum allgemeinen Nutzen, zum eigenen Nutzen oder zum Nutzen mancher (bzw. zu dem, was sie jeweils dafür halten). Das bedeutet nun, dass staatliche Aktivitäten unternommen werden, die keine allgemeine Zustimmung genießen. Die einen nennen hier Fahrradwege in Peru oder die Mietpreisbremse, die anderen den Abtreibungsparagraphen oder Abschiebungen – aber die Liste ist endlos. Nun mag es stimmen, dass jeweils eine Mehrheit diese Maßnahmen unterstützt. Aber eine Mehrheitsentscheidung hat keine Bedeutung oder besondere Würde: die Legitimität staatlichen Handelns kommt daher, dass alle zustimmen. Das ist genau wie im Alltag: es reicht nicht, dass ich zustimme, mein Auto gegen deines zu tauschen. Wir müssen beide zustimmen. Nur wenn alle beteiligten Akteure zustimmen, ist die Interaktion unanstößig.
Die Schuldenbremse als Antwort auf einen illegitimen Staat
Genau bei diesen staatlichen Aktivitäten, denen nicht alle zustimmen, also “beyond minimal politics”, entsteht Raum für eine Rechtfertigung der Schuldenbremse: sie kann eine Antwort auf bzw. eine präventive Maßnahme gegen die Auswüchse illegitimer Herrschaft sein. Wenn wir also befürchten müssen, dass der Staat etwas anderes tut, als das, wofür wir ihn geschaffen haben, dann ist das ein starkes Argument dafür, ihm Schranken zu setzen.
Diese Sorge wird im Kontext der Schuldenbremse meist so ausgedrückt, dass der Staat heute Geld auf Kosten der Zukunft, der nachfolgenden Generationen ausgibt. Und es geht in der Diskussion häufig darum, dass der Staat den Bürgern die Kosten seines Handelns nicht zeigen will, also hier und heute keine Steuern erhöhen will, sondern dies hinter Schulden versteckt, um nicht an Popularität zu verlieren. Das mag so sein, ist aber nur abgeleitet relevant, also nur insofern, als es dem widerspricht, was alle Bürger wollen.
Es geht also nicht um bestimmte materielle Ziele, wie etwa eine zukunftsorientierte Politik, sondern darum, den Staat so weit wie möglich dazu bekommen, sein Mandat und nur sein Mandat zu erfüllen. Die Schuldenbremse kann dabei helfen. Erstens, weil wir davon ausgehen können, dass viele staatliche Maßnahmen nicht auf Zustimmung stoßen; die Schuldenbremse begrenzt also schlicht die Ausgaben des Staates und bringt ihn damit, in den meisten Fällen, näher an das, was legitim ist. Zweitens führt sie zu mehr Transparenz, weil der Staat zusätzliche Ausgaben nicht einfach versteckt durch zukünftige Steuern finanzieren kann, sondern diese heute erhöhen muss, wenn er Mehrausgaben tätigen will. (Das setzt voraus, dass er nicht inflationieren kann – übrigens ein Grund, warum manche den Goldstandard als der Gewaltenteilung oder der Verfassung wesensgleich bezeichnet haben.)
Vielleicht könnte man im Lichte dessen spekulieren, dass der Staat ohne Schuldenbremse eine seiner meist als zentral angesehenen Aufgaben, nämlich die Landesverteidigung, ebenso wenig erfüllt hätte und erfüllen wird wie mit ihr – nur mit noch mehr Ausgaben für illegitime Dinge, die die Bürger der Zukunft hätten bezahlen müssen.
In einer vollkommenen Welt braucht es keine Schuldenbremsen
Das führt zum zentralen Punkt: Geht man davon aus, dass die staatlichen Akteure mit ihrem Geld, etwa dem “Sondervermögen”, sinnvoll (d.h. im Sinne der Bürger) umgehen, macht eine Schuldenbremse natürlich keinen Sinn. Aber gerade weil dies nicht der Fall ist, gewinnen Argumente pro Schuldenbremse an Stärke. Daraus folgt, dass es an der zentralen Begründung der Schuldenbremse vorbeigeht, wenn für ihre Aussetzung oder gar Abschaffung damit argumentiert wird, dass dieses Geld für viele sinnvolle Ausgaben gebraucht wird. Denn genau das ist ja die entscheidende Frage: Wird der Staat das Geld sinnvoll einsetzen oder wird er es verschwenden?
Die Annahme, der Staat sei ein guter Treuhänder, ist prinzipiell möglich. Aber damit verschiebt man die Diskussion in eine Welt, in der die Rechtfertigung für eine Schuldenbremse ohnehin nicht mehr greift. Denn die Schuldenbremse ist eine Begrenzung des Staates, die nur deswegen an an Bedeutung gewinnt, weil wir in einer unvollkommenen Welt leben, in der der Staat eben nicht durch und durch liberal ist.
Und vielleicht könnte man abschließend sogar noch hinzufügen, dass eine Welt, in der der Staat ein guter Treuhänder wäre, eine Welt wäre, in der man gar keinen Staat mehr bräuchte. Wie Ludwig von Mises einmal schrieb:
Government and state can never be perfect because they owe their raison d’etre to the imperfection of man and can attain their end, the elimination of man’s innate impulse to violence, only by recourse to violence, the very thing they are called upon to prevent.
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